Aktuelle Herausforde-rungen für das HVR: die Privatisierung des Krieges
In den letzten Jahren haben die beteiligten Parteien in bewaffneten Konflikten immer häufiger private Sicherheits- und Militärfirmen rekrutiert, um Aufgaben auszuführen, die früher ihren Streitkräften vorbehalten waren. Die Beteiligung dieser Firmen an den militärischen Operationen oder ihr Einsatz in Operationsnähe wirft Fragen darüber auf, wie das humanitäre Völkerrecht anzuwenden ist.
Die Tatsache, dass sich solche Firmen an Konflikten beteiligen, ist nichts Neues. In den jüngeren bewaffneten Konflikten ist ihre Anzahl jedoch deutlich gestiegen, und die Art ihrer Einsätze hat sich verändert – so sehr, dass einige Beobachterinnen und Beobachter von einer zunehmenden „Privatisierung“ des Krieges sprechen.
Zu den Tätigkeiten dieser Firmen gehören der Schutz von Militärangehörigen und militärischen Anlagen, die Ausbildung und Beratung der Streitkräfte, die Wartung von Waffensystemen, die Vernehmung von Gefangenen und gelegentlich sogar Kampfhandlungen.
Das IKRK beteiligt sich nicht an der Debatte über die Rechtmässigkeit des Einsatzes von privaten Unternehmen. Seine Sorge gilt der Einhaltung des humanitären Völkerrechts. Insbesondere befasst sich das IKRK mit der Frage, welche Pflichten und Rechte private Sicherheits- und Militärfirmen und ihre Mitarbeitenden haben, und welchen Verpflichtungen Staaten unterliegen, die auf diese Firmen zurückgreifen.
Die Stellung privater Sicherheits- und Militärfirmen und ihres Personals ist nicht eindeutig. Für nicht-staatliche Gruppen gilt das HVR während eines bewaffneten Konflikts, wenn sie selbst Konfliktparteien sind, oder wenn sie Handlungen in Verbindung mit dem Konflikt ausführen. Meist sind private Sicherheits- und Militärfirmen jedoch nicht selbst Konfliktpartei. Ihre Angestellten, als Einzelpersonen betrachtet, unterstehen aber abhängig von ihrer jeweiligen Rolle und Tätigkeit, unter Umständen den Vorschriften des HVR.
Die Mehrheit der Mitarbeitenden von privaten Sicherheits- und Militärfirmen sind gemäss dem HVR der Kategorie „Zivilpersonen“ zuzuordnen. Sowohl in internationalen bewaffneten Konflikten als auch in nicht-internationalen bewaffneten Konflikten sind sie durch das Vierte Genfer Abkommen, die Zusatzprotokolle aus dem Jahr 1977 und das Völkergewohnheitsrecht abgedeckt und ihr Schutz ist in diesen Rechtsinstrumenten gewährleistet. Wenn sie sich jedoch direkt an den Feindseligkeiten beteiligen, verlieren sie den Schutz vor Angriffen, den sie in beiden Arten von Konflikten als Zivilpersonen geniessen.
Trotz der gelegentlichen Verwendung des Begriffs „Söldner“ im Zusammenhang mit Mitarbeitenden von privaten Sicherheits- und Militärfirmen in Medienberichten ist dieser Begriff im HVR klar abgegrenzt und in den jüngeren Konflikten auf die meisten privaten Auftragnehmer nicht anwendbar.
Die Pflicht der Staaten in diesem Zusammenhang bedarf einer Klärung. Generell gilt, dass ein Staat, der private Firmen beschäftigt, dafür sorgen muss, dass diese Firmen das HVR einhalten, und dass deren Mitarbeitenden auf ihre Pflichten aufmerksam gemacht werden. Auch Staaten, in deren Gerichtsbarkeit private Firmen, die an bewaffneten Konflikten beteiligt sind, fallen, sind verpflichtet, sicherzustellen, dass diese Firmen das HVR einhalten.
Als Reaktion auf die zunehmende Präsenz von privaten Sicherheits- und Militärfirmen wurden verschiedene internationale Initiativen ins Leben gerufen, um internationale Rechtsnormen, welche die Tätigkeit dieser Firmen regeln, zu klären, zu bekräftigen oder neu zu entwickeln. Dies insbesondere mit Blick darauf, dass ihr Handeln im Einklang mit den Verhaltensvorschriften gemäss dem HVR und den Menschenrechtsinstrumenten stehen muss.
Als Ergebnis einer gemeinsam von der Schweiz und dem IKRK lancierten Initiative wurde im September 2008 das Montreux-Dokument verabschiedet. Dieses bekräftigt und wiederholt die bestehenden gesetzlichen Pflichten von Staaten im Hinblick auf die Tätigkeiten von privaten Sicherheits- und Militärfirmen während bewaffneten Konflikten. Zudem enthält es eine Reihe von „Best Practice“-Empfehlungen für die praktische Umsetzung bestehender rechtlicher Verpflichtungen.
Von ursprünglich 17 Staaten, welche das Dokument 2008 unterzeichneten, hat sich die Zahl der Unterstützer des Montreux-Dokuments inzwischen auf 54 Staaten und drei internationale Organisationen erhöht.