Demokratische Republik Kongo: Vom Konflikt gezeichnet

Im Osten der Demokratischen Republik Kongo hinterlässt der Krieg weiterhin tiefe Narben an Körpern und Seelen. Mit der jüngsten Eskalation der Kämpfe ist die Zivilbevölkerung in einer unerbittlichen Spirale der Gewalt gefangen. Inmitten von Raketen- und Granatenbeschuss wurden Millionen Menschen gezwungen, ihr Zuhause zu verlassen und in Lager zu flüchten, wo sie nun vor einer ungewissen Zukunft stehen. Für viele gehen die Folgen des Konflikts über die Vertreibung hinaus: Sie tragen auch körperliche Narben davon.
Ein nicht abreissender Strom von Patientinnen und Patienten im Ndosho-Spital in Goma zeugt von der brutalen Wirklichkeit des Krieges. Täglich werden hier Amputationen vorgenommen. Angesichts dieser irreversiblen Verletzungen versucht das IKRK über sein Programm für physische Rehabilitation, den Betroffenen ihre Würde und ihre Mobilität zurückzugeben, damit sie Schritt für Schritt – wörtlich und im übertragenen Sinne – eine neue Zukunft ins Auge fassen können.

Kinder erklimmen den Hang eines erloschenen Vulkankraters oberhalb des Flüchtlingslagers Lushagala, in dem mehr als 10 000 zivile Flüchtlinge leben. Copyright: Hugh Kinsella Cunningham / IKRK 15.11.2024
Fleeing to survive: Millions of Congolese forced into exile
Mit 4,6 Millionen Binnenvertriebenen gehören die Regionen Nord- und Südkivu zu den am stärksten betroffenen Gebieten des Landes. Hier werden die Familien immer wieder von Neuem entwurzelt. Viele haben alles verloren: ihr Zuhause, ihr Agrarland und ihre Einkommensgrundlage.
Sie leben nun dicht gedrängt in behelfsmässigen Flüchtlingslagern oder bei Verwandten, die ihrerseits in Schwierigkeiten sind – unter prekären Lebensbedingungen. Der Zugang zu Trinkwasser, Nahrung und medizinischer Versorgung ist eine ständige Herausforderung, die durch den Mangel an Infrastruktur und die anhaltende Gewalt noch verschärft wird. Die humanitären Organisationen bemühen sich, den Menschen zu helfen, doch die Not übersteigt die verfügbaren Ressourcen bei Weitem.

Zivilpersonen warten auf eine Lebensmittelverteilung im Flüchtlingslager Lac Vert. Die Mehrheit der Personen in diesem Lager floh aus der ländlichen Region Masisi, die inzwischen nach Monaten brutaler Kämpfe fast gänzlich vom M23 besetzt ist.

Ein Mädchen kehrt vom Wasserholen an einer Abgabestelle im Flüchtlingslager Lushagala zurück.

Zawadi Furaha und ihre Tochter Chance.

Überlastete Spitäler: ein beispielloser Zustrom von Verwundeten
Durch die Intensivierung der Kämpfe in Nord- und Südkivu sind die Spitäler überlastet. Seit Januar 2025 wurden mehr als 1400 Patientinnen und Patienten mit Waffenverletzungen in vier durch das IKRK unterstützte Spitäler eingeliefert. Fast die Hälfte davon waren Zivilpersonen, darunter zahlreiche Frauen und Kinder.
Die medizinischen Einrichtungen in Goma, Beni und Bukavu sind voll ausgelastet. Man findet Patientinnen und Patienten in den Gängen, Cafeterias wurden zu Krankenstationen und Parkplätze zu Triage-Zonen umfunktioniert. Angesichts der begrenzten Ressourcen kämpft das medizinische Personal mit einem kritischen Ausrüstungsmangel, was die Behandlung der Verletzten zusätzlich erschwert.
Trotz der zunehmenden medizinischen Bedürfnisse ist der Zugang zur Versorgung in dieser Region angesichts der Gewaltspirale, in der sie sich befindet, eine grosse Herausforderung.


Chirurgenteams im Operationssaal des Ndosho-Spitals in Goma. Zwischen 2023 und 2025 wurden in diesem Spital mehr als 1300 durch Waffen verletzte Personen behandelt.
Unabhängigkeit zurückerlangen und Leben „reparieren“
Vielen Menschen im Osten der Demokratischen Republik Kongo musste infolge des verheerenden Krieges ein Bein oder ein Arm amputiert werden. 2023 und 2024 fertigte das Programm für physische Rehabilitation des IKRK mehr als 400 Prothesen und Orthesen an. Dadurch erhielten die Betroffenen eine Chance, ihre Mobilität und Unabhängigkeit zurückzuerlangen.
Diese Hilfsmittel sind mehr als nur Medizingeräte – sie sind eine Art Rettungsanker, dank dem die Überlebenden sich eine neue Zukunft aufbauen können.

Die Patientin Naomi Kabuo macht Übungen im Orthopädischen Zentrum Shirika in Goma.

Rosette Katungu, die bei einem Hinterhalt angeschossen wurde und ihre Grossmutter verlor, macht Gleichgewichtsübungen mit ihrer Prothese.

IKRK-Mitarbeitende fertigen im Orthopädischen Zentrum Shirika in Goma neue Prothesen an.

Ein langer Weg bis zur Genesung
Zu überleben, ist für die Menschen im Osten der Demokratischen Republik Kongo nur der erste Schritt. Neben den körperlichen Wunden tragen sie tiefe psychische Narben als Folge des Konflikts davon. Viele kämpfen mit tiefem Verlust, Traumatisierung und Ungewissheit. Die humanitäre Arbeit bietet ihnen lebensrettende medizinische Versorgung, Rehabilitation und grundlegende Hilfe. Doch das riesige Ausmass des Leids erfordert langfristige Aufmerksamkeit und langfristiges Engagement. Die Einhaltung des humanitären Völkerrechts durch alle Parteien ist entscheidend, um sicherzustellen, dass die Zivilbevölkerung, das Gesundheitsfachpersonal und humanitäre Mitarbeitende vor den verheerenden Folgen des Krieges geschützt werden. Da die Gewalt jedoch weiterhin Menschen entwurzelt, sind Millionen in einem Teufelskreis der Vertreibung und Not gefangen. Für diese Menschen bedeutet Genesung nicht nur, ihren Körper zu heilen, sondern auch, ihre Würde sowie eine gewisse Stabilität und Hoffnung für die Zukunft zurückzuerlangen.
Adaptation eines ursprünglich auf Französisch auf dem Blog des IKRK veröffentlichten Artikels: L'Humanitaire dans tous ses États