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Demokratische Republik Kongo: Vom Konflikt gezeichnet

Fotoreportage von Hugh Kinsella Cunningham, Gewinner des IKRK-Preises Visa d’Or humanitaire 2024
Grace, un niño de 10 años que recibió un disparo en la cabeza (de manos del grupo de rebeldes M23), está al cuidado de su hermano James después de su cirugía. Desde que resultó herido, Grace no ha vuelto a hablar.
Hugh Kinsella Cunningham/IKRK

Im Osten der Demokratischen Republik Kongo hinterlässt der Krieg weiterhin tiefe Narben an Körpern und Seelen. Mit der jüngsten Eskalation der Kämpfe ist die Zivilbevölkerung in einer unerbittlichen Spirale der Gewalt gefangen. Inmitten von Raketen- und Granatenbeschuss wurden Millionen Menschen gezwungen, ihr Zuhause zu verlassen und in Lager zu flüchten, wo sie nun vor einer ungewissen Zukunft stehen. Für viele gehen die Folgen des Konflikts über die Vertreibung hinaus: Sie tragen auch körperliche Narben davon.

Ein nicht abreissender Strom von Patientinnen und Patienten im Ndosho-Spital in Goma zeugt von der brutalen Wirklichkeit des Krieges. Täglich werden hier Amputationen vorgenommen. Angesichts dieser irreversiblen Verletzungen versucht das IKRK über sein Programm für physische Rehabilitation, den Betroffenen ihre Würde und ihre Mobilität zurückzugeben, damit sie Schritt für Schritt – wörtlich und im übertragenen Sinne – eine neue Zukunft ins Auge fassen können.

Los niños escalan las laderas del cráter de un volcán extinto sobre el campamento de Lushagala
Hugh Kinsella Cunningham/IKRK

Kinder erklimmen den Hang eines erloschenen Vulkankraters oberhalb des Flüchtlingslagers Lushagala, in dem mehr als 10 000 zivile Flüchtlinge leben. Copyright: Hugh Kinsella Cunningham / IKRK 15.11.2024

Fleeing to survive: Millions of Congolese forced into exile

Mit 4,6 Millionen Binnenvertriebenen gehören die Regionen Nord- und Südkivu zu den am stärksten betroffenen Gebieten des Landes. Hier werden die Familien immer wieder von Neuem entwurzelt. Viele haben alles verloren: ihr Zuhause, ihr Agrarland und ihre Einkommensgrundlage.

Sie leben nun dicht gedrängt in behelfsmässigen Flüchtlingslagern oder bei Verwandten, die ihrerseits in Schwierigkeiten sind – unter prekären Lebensbedingungen. Der Zugang zu Trinkwasser, Nahrung und medizinischer Versorgung ist eine ständige Herausforderung, die durch den Mangel an Infrastruktur und die anhaltende Gewalt noch verschärft wird. Die humanitären Organisationen bemühen sich, den Menschen zu helfen, doch die Not übersteigt die verfügbaren Ressourcen bei Weitem.

En el campamento de desplazados en Lac Vert, un grupo de civiles espera que distribuyan alimentos.
Hugh Kinsella Cunningham/IKRK

Zivilpersonen warten auf eine Lebensmittelverteilung im Flüchtlingslager Lac Vert. Die Mehrheit der Personen in diesem Lager floh aus der ländlichen Region Masisi, die inzwischen nach Monaten brutaler Kämpfe fast gänzlich vom M23 besetzt ist.

Una niña regresa de buscar agua de un punto de distribución en el campamento de desplazados de Lushagala.
Hugh Kinsella Cunningham/IKRK

Ein Mädchen kehrt vom Wasserholen an einer Abgabestelle im Flüchtlingslager Lushagala zurück.

Zawadi Furaha y su hija Chance
Hugh Kinsella Cunningham/IKRK

Zawadi Furaha und ihre Tochter Chance.

Wir flohen zunächst vor den Kämpfen in der Nähe unseres Dorfes in Bweremana, aber dann hatten wir nichts mehr. Der Hunger trieb uns zur Umkehr. Wir gingen zurück auf die Felder, um Nahrung zu finden. Doch es befanden sich Kämpfer des M23 in der Nähe und sie begannen, auf meine Schwiegermutter zu schiessen. Ich wollte weglaufen, und sie schossen auch auf mich, also versteckte ich mich im Gebüsch. Es war 9 Uhr morgens. Ich blieb bis 16 Uhr in meinem Versteck, bis mein Mann kam und nach mir suchte. Er ging gebückt, damit man ihn nicht sehen konnte. Als er mich fand, war ich verletzt. Er trug mich weg und brachte mich in Sicherheit.

Zawadi Furaha
El campamento de Lushagala, hogar de más de 10.000 civiles desplazados.
Hugh Kinsella Cunningham/IKRK

Überlastete Spitäler: ein beispielloser Zustrom von Verwundeten

Durch die Intensivierung der Kämpfe in Nord- und Südkivu sind die Spitäler überlastet. Seit Januar 2025 wurden mehr als 1400 Patientinnen und Patienten mit Waffenverletzungen in vier durch das IKRK unterstützte Spitäler eingeliefert. Fast die Hälfte davon waren Zivilpersonen, darunter zahlreiche Frauen und Kinder.

Die medizinischen Einrichtungen in Goma, Beni und Bukavu sind voll ausgelastet. Man findet Patientinnen und Patienten in den Gängen, Cafeterias wurden zu Krankenstationen und Parkplätze zu Triage-Zonen umfunktioniert. Angesichts der begrenzten Ressourcen kämpft das medizinische Personal mit einem kritischen Ausrüstungsmangel, was die Behandlung der Verletzten zusätzlich erschwert.

Trotz der zunehmenden medizinischen Bedürfnisse ist der Zugang zur Versorgung in dieser Region angesichts der Gewaltspirale, in der sie sich befindet, eine grosse Herausforderung.

Equipos quirúrgicos en el quirófano del hospital Ndosho de Goma
Hugh Kinsella Cunningham/IKRK
Equipos quirúrgicos en el quirófano del hospital Ndosho de Goma
Hugh Kinsella Cunningham/IKRK

Chirurgenteams im Operationssaal des Ndosho-Spitals in Goma. Zwischen 2023 und 2025 wurden in diesem Spital mehr als 1300 durch Waffen verletzte Personen behandelt.

Unabhängigkeit zurückerlangen und Leben „reparieren“

Vielen Menschen im Osten der Demokratischen Republik Kongo musste infolge des verheerenden Krieges ein Bein oder ein Arm amputiert werden. 2023 und 2024 fertigte das Programm für physische Rehabilitation des IKRK mehr als 400 Prothesen und Orthesen an. Dadurch erhielten die Betroffenen eine Chance, ihre Mobilität und Unabhängigkeit zurückzuerlangen.

Diese Hilfsmittel sind mehr als nur Medizingeräte – sie sind eine Art Rettungsanker, dank dem die Überlebenden sich eine neue Zukunft aufbauen können.

La paciente Naomi Kabuo durante una secuencia de ejercicios en el centro ortopédico de Shirika, Goma.
Hugh Kinsella Cunningham/IKRK

Die Patientin Naomi Kabuo macht Übungen im Orthopädischen Zentrum Shirika in Goma.

Ich war draussen, als eine Bombe vom Himmel fiel. Ich sah sie aufschlagen. Granatsplitter durchbohrten meinen Körper. Mir wurde plötzlich kalt. Ich war am Bein, am Arm und an den Händen verletzt. Ich dachte, ich würde ersticken. Ich ging zu Boden und sah Blut aus meinen Wunden strömen. Vor mir am Boden sah ich meine Knochen, aber ich spürte keinen Schmerz. Die Nachbarn fanden mich und riefen nach einem Motorrad, um mich zu einer Erstversorgungseinrichtung zu bringen. Ich verlor das Bewusstsein, bevor die Ambulanz ankam. Als ich wieder erwachte, hatte man mich bereits operiert.

Naomi Kabuo
Rosette Katungu, que resultó herida de bala en una emboscada que se cobró la vida de su abuela, practica equilibrio sobre una pierna ortopédica.
Hugh Kinsella Cunningham/IKRK

Rosette Katungu, die bei einem Hinterhalt angeschossen wurde und ihre Grossmutter verlor, macht Gleichgewichtsübungen mit ihrer Prothese.

Personal del CICR fabrica nuevas prótesis en el centro ortopédico de Shirika, en Goma.
Hugh Kinsella Cunningham/IKRK

IKRK-Mitarbeitende fertigen im Orthopädischen Zentrum Shirika in Goma neue Prothesen an.

El volcán activo del monte Nyiragongo domina la ciudad de Goma.
Hugh Kinsella Cunningham/IKRK

Ein langer Weg bis zur Genesung

Zu überleben, ist für die Menschen im Osten der Demokratischen Republik Kongo nur der erste Schritt. Neben den körperlichen Wunden tragen sie tiefe psychische Narben als Folge des Konflikts davon. Viele kämpfen mit tiefem Verlust, Traumatisierung und Ungewissheit. Die humanitäre Arbeit bietet ihnen lebensrettende medizinische Versorgung, Rehabilitation und grundlegende Hilfe. Doch das riesige Ausmass des Leids erfordert langfristige Aufmerksamkeit und langfristiges Engagement. Die Einhaltung des humanitären Völkerrechts durch alle Parteien ist entscheidend, um sicherzustellen, dass die Zivilbevölkerung, das Gesundheitsfachpersonal und humanitäre Mitarbeitende vor den verheerenden Folgen des Krieges geschützt werden. Da die Gewalt jedoch weiterhin Menschen entwurzelt, sind Millionen in einem Teufelskreis der Vertreibung und Not gefangen. Für diese Menschen bedeutet Genesung nicht nur, ihren Körper zu heilen, sondern auch, ihre Würde sowie eine gewisse Stabilität und Hoffnung für die Zukunft zurückzuerlangen.

 

Adaptation eines ursprünglich auf Französisch auf dem Blog des IKRK veröffentlichten Artikels: L'Humanitaire dans tous ses États