Afghanistan: Rollstuhlbasketball stärkt Menschen mit Behinderung
Die sechs besten Rollstuhlbasketball-Teams Afghanistans - Kabul, Masar, Faizabad, Parwan, Herat und Dchalalabad - nahmen vom 21. bis 25. Juni 2024 an der nationalen Rollstuhlbasketball-Meisterschaft in Herat teil. Diese Schwergewichte der ersten Liga lieferten sich ein Kräftemessen, das von Talent und Kampfgeist nur so sprühte.
Lernen Sie einige der Spieler kennen, die es bis in diese Runde geschafft haben. Erfahren Sie mehr über ihren Werdegang, ihre Motivation und die Gründe, weshalb sie zu diesen Teams gegangen sind.
Sebghatullah Qarizadah (28) ist ein Rollstuhlbasketballspieler aus Herat in Afghanistan. Sebghatullah erkrankte im Alter von drei Jahren an Kinderlähmung, und seine ersten Lebensjahre waren von Schwierigkeiten und Problemen überschattet. Nach dem Tod seines Vaters wurde er mit nur fünf Jahren Haupternährer seiner Familie. Er liess sich nicht entmutigen und arbeitete unermüdlich, während er weiter zur Schule ging.
Sebghatuallah, hier im blauen Trikot von Herat, arbeitet seit zwei Jahren als Physiotherapeut im Rehabilitationszentrum des IKRK in Herat, Afghanistan.
Der zielstrebige junge Mann wurde in das Berufsbildungsprogramm des IKRK aufgenommen, und hier entdeckte er einen neuen Weg für sich: Mit der Unterstützung des IKRK schloss er eine Fachausbildung zum Physiotherapeuten ab. Seine Sportbegeisterung aus Kindertagen war ungebrochen, und er setzte sich das Ziel, Profisportler zu werden.
Eine zufällige Begegnung in der Sporthalle entfachte seine Motivation. Als ein Verwandter erfuhr, dass er dort war, um Rollstuhlbasketball zu spielen, spottete er, Sport sei nichts für Menschen mit Behinderungen. Für Sebghatullah war dies der Moment, in dem er die Zweifel der anderen in Ansporn für seinen Weg verwandeln konnte. „Seitdem“, sagt er, „spiele ich mit noch grösserer Begeisterung“.
Für Sebghatullah und andere ist Rollstuhlbasketball mehr als ein Spiel - es ist ein Ort der Selbstbestimmung. Er fördert die Autonomie und stellt vorgefasste Meinungen darüber in Frage, was Menschen mit Behinderungen erreichen können. Mit jedem Dribbling, Pass und Schuss definieren Spieler wie Sebghatullah die Grenzen des Machbaren neu und inspirieren andere.
Das Rollstuhlbasketballprogramm des IKRK ist auf beeindruckende 719 Spieler in 13 Provinzen angewachsen. Die Auswahl für dieses bahnbrechende Programm erfolgt nach den Kriterien der International Wheelchair Basketball Federation (IWBF) und gewährleistet ein sicheres und inklusives Umfeld für alle. Bewerber müssen bestimmte Anforderungen hinsichtlich ihrer Behinderung, ihres Mindestalters und ihres körperlichen und geistigen Wohlbefindens erfüllen. Minderjährige benötigen ausserdem die Erlaubnis ihrer Familien.
Shukrullah Zeerak, der Leiter des Rollstuhlbasketballprogramms des IKRK.
Shukrullah Zeerak (47), der die Initiative leitet, setzt sich für die Förderung von Menschen mit Behinderungen ein. „Rekrutiert werden die Spieler hauptsächlich von Physiotherapeuten während Reha-Sitzungen, oder auch von Sozialarbeitern. Junge Menschen mit Behinderungen werden während ihrer Behandlung in den Reha-Zentren des IKRK über sportliche Aktivitäten informiert; 44 der 719 Spieler wurden vom IKRK vermittelt“, sagt er.
Zeerak erklärt, wie wichtig der Sport für das körperliche und geistige Wohlbefinden von Menschen mit Behinderungen ist. „Die Teilnahme an diesen Aktivitäten hilft ihnen, ihre Fähigkeiten zu entdecken, stärkt ihr Selbstbewusstsein und fördert ihre soziale Integration“, sagt er.
Saber (34) arbeitet ebenfalls im Reha-Zentrum des IKRK. Seit 2013 hilft er dort anderen Menschen mit Behinderungen.
Mohammad Saber Sultani (34) ist seit über einem Jahrzehnt einer der wichtigsten Köpfe im Rollstuhlbasketballteam von Kabul. Sein Weg zum Spielfeld begann mit einer Tragödie: Im Alter von nur drei Jahren verlor er beide Beine, als ein Blindgänger explodierte. Sultani sagt, er sei zutiefst verzweifelt gewesen, dass er nicht wie andere gehen und ein normales Leben führen konnte.
Doch das änderte sich, als ein Freund ihm vom Rollstuhlbasketball-Programm des IKRK erzählte. „Als ich Spieler sah, die noch schwerer behindert waren als ich, wurde mir klar, dass ich das auch kann, wenn sogar sie es schaffen.“
„Seit ich Basketball spiele, denke ich nicht mehr an meine Behinderung“, sagt Saber. Der Sport war für ihn der Einstieg in einen Bereich, in dem er nicht durch seine körperlichen Einschränkungen bestimmt wurde. Sein Talent und seine Ausdauer kamen schnell zum Vorschein – er übertraf seine eigenen Erwartungen, wurde in die Nationalmannschaft geholt und reiste ins Ausland, um an internationalen Wettkämpfen teilzunehmen.
Sabers Erfolg hat mehr als nur persönliche Triumphe gebracht. Er und sein Team gewannen zwei Titel bei Turnieren im Libanon und belegten sehr gute Plätze bei anderen internationalen Wettkämpfen. Er kehrt glücklich nach Hause zurück und geniesst den Stolz seiner Familie, seiner Freunde und seiner Community. Seine Leistungen verschaffen ihm Respekt und Bewunderung und verändern in seinem Umfeld die Wahrnehmung von „Fähigkeit“ und „Behinderung“.
Jahrzehntelange Konflikte und Entwicklungsverzögerungen haben in Afghanistan, wo mehr als eine Million Menschen mit irgendeiner Form von Behinderung lebt, bleibende Spuren hinterlassen. Seit 1988 ist das IKRK mit seinem Rehabilitationsprogramm führend bei der Unterstützung der Betroffenen. Das Programm hilft jedes Jahr über 200‘000 Menschen in sieben Rehabilitationszentren im ganzen Land.
Wir begannen 2012 mit der Unterstützung von Rollstuhlbasketballteams und stellen nun technische und finanzielle Unterstützung bereit. Von der Übernahme der Taxikosten, damit die Spieler zum Training kommen können, über die Bereitstellung speziell angepasster Rollstühle bis hin zur Instandhaltung der Plätze und dem Einsatz guter Trainer wird jedes Detail berücksichtigt, damit die Talente gefördert werden.
Der Sport hat das Leben vieler Basketballspieler verändert, und das IKRK bleibt seiner Aufgabe treu, Menschen mit Behinderungen zu unterstützen, ihre Leistungen zu würdigen und sich für eine Zukunft einzusetzen, in der sie sich unabhängig von ihrer Behinderung entfalten können.