Artikel

Aserbaidschan: Geschichte eines Minenopfers – Resilienz und Sensibilisierung

Anar, is a mine victim. Two of Anar's brothers in front of  his young nephew were killed by an explosion when they unknowingly went into a mine-contaminated area. When Anar and his father rushed to help, a second explosion severely injured Anar and he lost a leg.
Aida Aliyeva

Die Waffenkontamination in Aserbaidschan und ihre verheerenden Folgen bergen auch heute noch grosse Risiken für die Bevölkerung. Landminen und nicht explodierte Kampfmittelrückstände sind versteckte Gefahren, die in vielen Regionen immer wieder zu Toten führen und die Erholung des Landes beeinträchtigen. 

Aida Aliyeva

Seit mehr als zwei Jahrzehnten setzt sich das Internationale Komitee vom Roten Kreuz (IKRK) ohne Unterlass dafür ein, die Menschen zu sensibilisieren und aufzuklären sowie überlebende Opfer zu unterstützen. Trotz der kontinuierlichen Anstrengungen bleibt die Gefahr durch Minen verbreitet. Zusätzliche Initiativen und Aufklärung sind unabdingbar.

Wie viele andere erlebte die Familie von Anar 2021 eine Tragödie infolge der Waffenkontamination. Zwei von Anars Brüdern wurden vor den Augen seines kleinen Neffen durch eine Explosion getötet, als sie sich unwissend in eine mit Minen verseuchte Gegend begaben. Als Anar und sein Vater ihnen zu Hilfe eilen wollten, verletzte eine zweite Explosion Anar so schwer, dass er ein Bein verlor. Der emotionale Schmerz, zwei Brüder verloren und gleichzeitig eine Verletzung erlitten zu haben, die sein ganzes Leben beeinträchtigen würde, war riesig. Nach der Tragödie bot das IKRK Anar und seiner Familie psychologische Unterstützung und finanzielle Hilfe an, damit sie ihre dringendsten Bedürfnisse decken konnten.

Um Vorfälle wie diesen zu verhindern, sensibilisiert das IKRK die Bevölkerung für die Minengefahr und unterstützt die Anstrengungen der Regierung, kontaminierte Gebiete zu räumen. Dazu arbeiten wir Hand in Hand mit dem Aserbaidschanischen Roten Halbmond und in Koordination mit der staatlichen Antiminenagentur der Republik Aserbaidschan. „Im Rahmen unseres Programms, das darauf abzielt, die Risiken der Waffenkontamination zu verringern, haben wir Überlebende wie Anar ausgebildet, damit sie Veranstaltungen für Gefahrenbewusstsein und sicheres Verhalten durchführen können. Diese Veranstaltungen haben zum Ziel, die Menschen über die Gefahren von Landminen und Blindgängern zu informieren und ihnen zu erklären, wie sie sich in kontaminierten Gebieten sicher fortbewegen können“, erklärt Bishnu Mahat, Koordinator des Waffenkontaminationsprogramms der IKRK-Delegation in Aserbaidschan.

Zwischen 2022 und 2024 wurden 19 Minenopfer, darunter auch Anar, zu Schulungsleitern ausgebildet. Sie arbeiten heute als Freiwillige für den Aserbaidschanischen Roten Halbmond und haben bereits über 1400 Sensibilisierungsveranstaltungen durchgeführt, mit denen Tausende Menschen im ganzen Land erreicht werden konnten.

Anars Engagement für das Anliegen ist unerschütterlich. Heute führt er Sensibilisierungsveranstaltungen in örtlichen Teehäusern, auf Märkten und selbst in Viehzuchtbetrieben durch, da dort die Minengefahr hoch ist. „Wenn ich auch nur ein Leben retten kann, dann lohnt sich der ganze Aufwand“, erklärt Anar.

Seit 2021 arbeitet das IKRK eng mit den lokalen Behörden zusammen, um die Arbeit zur Minenaufklärung zu unterstützen. Wir haben 3000 Minenwarnschilder, 100 Anzeigetafeln für Gefahrenbewusstsein und sicheres Verhalten sowie IT-Ausstattung und persönliche Schutzausrüstung für die Minenräumung an die staatliche Antiminenagentur gespendet, um deren Arbeit zum Schutz vor Minen zu fördern. Zusätzlich wurden mehr als 50 Mitarbeitende des Kommissars für Menschenrechte (einer Ombudsstelle) in den internationalen Minenräumstandards (IMAS) geschult, um insbesondere die Minenopfer unterstützen zu können. Gemeinsam mit der Ombudsstelle organisierte das IKRK zwischen 2022 und 2025 dreimal ein jährliches Rundtischgespräch über Opferhilfe, an dem sich auch die einschlägigen staatlichen Behörden beteiligten.

Ausserdem halfen wir bei der Organisation von Schulungen über die Versorgung von durch Explosionen verursachten Verletzungen für 77 Sachverständige der Antiminenagentur und des Verteidigungsministeriums. Zwischen 2022 und 2025 schulte das IKRK mehr als 250 Freiwillige des Aserbaidschanischen Roten Halbmonds, um ihre Kompetenzen zu erweitern und ihnen zu ermöglichen, die Bevölkerung für das Thema zu sensibilisieren. Allein im Jahr 2024 konnten über direkte Besuche bei den Menschen zuhause und Veranstaltungen in Teehäusern und Schulen mehr als 42 000 Personen erreicht werden.

Anar ist überzeugt, dass seine Tätigkeit als Freiwilliger zu seiner Genesung beigetragen und seine Wiedereingliederung in die Gemeinschaft ermöglicht hat. Seine Widerstandskraft inspiriert andere, und seine aktive Beteiligung an der Sensibilisierung für Landminen macht deutlich, was für eine wichtige Rolle Überlebende bei der Verbesserung der Sicherheit der Bevölkerung spielen. „Ich hoffe, dass ich dank meines Engagements verhindern kann, dass andere dieselbe Tragödie erleben, die meine Familie durchmachen musste“, meint er.

Die Arbeit des IKRK in Aserbaidschan hat dazu beigetragen, ein Fundament für die kontinuierlichen Anstrengungen zur Verringerung der Folgen der Waffenkontamination im Land zu schaffen. Dabei stützen wir uns weiterhin auf lokales Engagement und zusätzliche Sensibilisierung. Unsere Partnerschaften mit den lokalen Behörden, dem Aserbaidschanischen Roten Halbmond und anderen Organisationen sind entscheidend, um die Menschen zu sensibilisieren, Überlebende zu unterstützen und die Gefahren durch Landminen und Blindgänger zu reduzieren. Die Geschichte von Anar zeugt von der Kraft und der Resilienz der Überlebenden sowie von der Wirkung von Initiativen, die durch Überlebende angeführt werden und die mithelfen, eine resilientere und besser informierte Gesellschaft aufzubauen.