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Der lange Schatten des Krieges: Landminen sind unvertretbare Waffen, die jahrelange Leid verursachen

Omar stands on a hillside watching over his sheep in a vast, mountainous landscape with snow-capped peaks in the distance, in Iraq.
Mike KHALAF/IKRK

Antipersonenminen können nicht unterscheiden. Vergraben auf Äckern, auf Wegen und in Wäldern warten sie still - manchmal jahrzehntelang - bis jemand ahnungslos auf sie tritt. Die Folgen sind oft katastrophal: Menschen sterben, Gliedmassen werden verstümmelt, die Zukunft wird ungewiss.

Die Opferzahlen schwanken, doch das Muster der Schäden bleibt unverändert: Die Zivilbevölkerung - also genau die Menschen, die vor den Auswirkungen des Krieges geschützt werden sollten - trägt nach wie vor die Hauptlast und macht über 80 % der Opfer von Minen und explosiven Munitionsrückständen aus; nahezu die Hälfte von ihnen sind Kinder (Landmine Monitor Report 2024).

Landminen lassen ganze Bevölkerungsgruppen verarmen, da sie ihnen den sicheren Zugang zu Gesundheitsversorgung, Ausbildung und Ackerland abschneiden. Sie verzögern den Neuanfang nach einem Konflikt, blockieren den Wiederaufbau und machen das tägliche Überleben zu einer lebensgefährlichen Herausforderung - wenn etwa Mitarbeitende von Hilfsorganisationen versuchen, abgelegene Gemeinden zu erreichen, wenn Landwirte ihre Äcker wieder bebauen wollen, wenn Vertriebene nach Hause zurückkehren oder Kinder im Freien spielen.

Landminen sind nicht nur im Krieg einsetzbar, sondern sie verursachen auch lange darüber hinaus grosses Leid. Ihr Einsatz und ihre unterschiedslose Wirkung verstossen gegen grundlegende Prinzipien des humanitären Völkerrechts. 

Das Übereinkommen über das Verbot des Einsatzes, der Lagerung und der Herstellung von Antipersonenminen (Ottawa-Vertrag) wurde von mehr als 160 Staaten ratifiziert. Trotz der Fortschritte bei der Ächtung dieser Waffen und bei der Minenräumung sind noch immer Millionen von Minen im Boden und stellen eine katastrophale Bedrohung für das Leben dar. 

Jedes Jahr am 4. April erinnert der Internationale Tag zur Aufklärung über Minen und zur Unterstützung von Minenräumung die Welt daran, sich der stillen, verborgenen Gefahr bewusst zu werden, die von Landminen ausgeht - oft noch lange nach dem Ende der Kämpfe. Für diejenigen, die eine Explosion überleben, ist der Weg zur Genesung lang, schmerzhaft und individuell sehr unterschiedlich. 

Die anhaltenden Auswirkungen von Landminen: Gesichter der Resilienz

Abdulrahman sits in a chair at an ICRC rehabilitation centre with his father and younger sibling on the chair beside him.
IKRK

Jemen: Abdulrahman – ein Junge mit grossen Träumen

Der sechsjährige Abdulrahman spielte im Freien in der Nähe seines Elternhauses in Al Baydha (Jemen), als er auf eine Landmine trat und sich sein Leben für immer veränderte. Die Explosion verletzte ihn schwer, und er verlor einen Teil seines Beins. 

Der Jemen ist eines der am stärksten mit Landminen verseuchten Länder der Welt. Der jahrzehntelange Konflikt hat weite Teile des Landes mit Blindgängern übersät. Tausende von Zivilpersonen wurden getötet oder verletzt, und die Minengefahr behindert weiterhin den Alltag der Menschen und den Zugang für humanitäre Hilfe.

Da es in der Nähe keine fachärztliche Versorgung gibt, mussten sich Abdulrahman und seine Familie nach dem Unfall zur Behandlung in das über 200 km entfernte Sanaa begeben. Die Deckung der Reise- und Behandlungskosten war extrem schwierig für die Familie in einem Land, das ohnehin schon mit grossen Schwierigkeiten zu kämpfen hat. 

Trotz dieser Probleme hat Abdulrahman vom Rehabilitationszentrum in Sanaa eine Prothese erhalten. Während er wächst, sind für die Wartung und Anpassung der Prothese regelmässige Besuche im Zentrum erforderlich, damit die Prothese richtig sitzt und er sich bequem bewegen kann.  

Heute ist Abdulrahman in der 11. Klasse. Er besucht regelmässig die Schule, trifft sich mit Freunden und nimmt an Aktivitäten teil, die seinen Fähigkeiten entsprechen. Trotz - oder vielleicht gerade wegen - der Herausforderungen, denen er sich stellen musste, träumt er davon, Luftfahrtingenieur zu werden. 

Zahida smiles at the camera, sitting with her father on a rug, with her head on his shoulder.
IKRK

Afghanistan: Zahidas junges Leben – für immer verändert

Afghanistan ist nach wie vor eines der Länder, die am stärksten durch Minen gefährdet sind. Diese Waffen stellen eine große Gefahr für Menschen dar, die einfach nur ihren Alltag meistern - Bauern, die ihr Land bestellen, Kinder, die zur Schule gehen, Familien, die unterwegs sind. Im Jahr 2024 wurden nach Angaben des IKRK 455 Zivilpersonen (davon 359 Kinder) bei 234 Minenunfällen getötet oder verletzt. 

Eine der Familien, deren Leben durch einen dieser Sprengkörper auf den Kopf gestellt wurde, war die der vierjährigen Zahida. Sie spielte mit Freunden auf einem Bauernhof in der Nähe ihres Hauses, als sie einen Gegenstand auf dem Boden untersuchen wollte. Es handelte sich um eine Mine, die explodierte, als sie die anderen Kinder ihr wegnehmen wollten. Zahida verlor ein Bein.

Gemeinsam mit dem Afghanischen Roten Halbmond organisierten unsere Teams in minenverseuchten Gebieten landesweit mehrere Treffen, an denen sie über 240'000 Menschen, darunter mehr als die Hälfte Kinder, über Risiken und sicheres Verhalten aufklärten.

Rabea, a middle-aged woman in a hijab, stands surrounded by olive trees in her village of Barlahin in eastern rural Aleppo, with a gentle smile on her face.
Yacoub YACOUB/IKRK

Syrien: Eine Mutter vermisst ihr Kind, ihren Mann und das Gefühl der Sicherheit für ihre Familie

Rabea, bekannt als Um Bashar, ist eine Mutter aus dem Dorf Barlahin im ländlichen Osten Aleppos. Wie viele andere Familien waren sie und ihre Angehörigen gezwungen, aufgrund der Gewalt vor Jahren aus ihrer Heimat zu fliehen. Als sie 2017 zurückkehrten, kam es zu einer furchtbaren Tragödie. Ihr Mann und ihr zehnjähriger Sohn traten bei einem Spaziergang auf dem eigenen Grundstück auf eine Landmine - beide wurden getötet. 

In einem Augenblick verlor Rabea sowohl ihren Mann als auch ihr Kind. Zum Schmerz über den Tod der beiden kamen die Hilflosigkeit und die Angst um das Leben ihrer anderen Kinder auf dem minenverseuchten Gelände. Die Familie konnte die beiden nicht auf dem Dorffriedhof bestatten, da die Gegend zu gefährlich war. Sie mussten ausserhalb des Dorfes, weit weg von zu Hause, beigesetzt werden. 

Der Alltag der Familie war nun von Angst erfüllt. Der Gang der Kinder zur Schule wurde zu einem täglichen Alptraum, da die Straße dorthin vermint war. Das Land, ihre Einkommensquelle, war tödlich geworden, das Vieh konnte nicht mehr gefahrlos grasen. 

In letzter Zeit jedoch schöpft Rabeas Familie wieder Hoffnung. Ein IKRK-Team hat ihr Land von Munitionsrückständen befreit und es wieder sicher gemacht. Sie beschreibt die unendliche Erleichterung, die ihr Haus erfüllt. Zum ersten Mal seit Jahren fühlen sie sich sicher. Die Kinder können nun furchtlos zur Schule gehen, die Familie kann ihr Land bewirtschaften, das Vieh versorgen und die Oliven ernten. 

Franck and his sister Clarissa at the Ndosho hospital in Goma in the Democratic Republic of the Congo.
Eleonore Abena Kyeiwaa ASOMANI/IKRK

Demokratische Republik Kongo: Spiel eines kleinen Jungen endet mit schwerer Verletzung

Franck spielte mit einem Freund vor seinem Haus, als sie etwas Rundes fanden, das wie eine Maracca aussah. Als die neugierigen kleinen Jungen es aufhoben und schüttelten, hörten sie, dass etwas darin war. Neugierig geworden, schüttelten sie es noch stärker – natürlich mit dem Ziel, die Maracca zu öffnen und herauszufinden, was sich darin befand. Als sie versuchten, sie auf einen Stein zu schlagen, stieg Rauch aus dem Gegenstand auf, der Francks rechte Hand schwer verbrannte.

Er wird jetzt im Ndosho-Krankenhaus in Goma behandelt und zu Hause von seiner 16-jährigen Schwester Clarisse betreut.

Franck würde gerne wieder zur Schule gehen, macht sich aber Sorgen, denn als Rechtshänder weiß er nicht, wie er mit dieser Behinderung dem Unterricht folgen soll. Sein Lieblingsfach ist Geographie, und er ist fasziniert davon, wie sich die Erde dreht und wie das Universum funktioniert.

Omar stands on a hillside watching over his sheep in a vast, mountainous landscape with snow-capped peaks in the distance, in Iraq.
Mike KHALAF/IKRK

Iraq: Ein Mann verliert seine Existenzgrundlage und seinen geliebten Beruf

Omar Aziz erinnert sich daran, wie er mit seinem Vater in den Bergen von Schaqlawa im Irak unterwegs war und lernte, wie man Vieh züchtet und Schafe hütet. Das war sein Lebensunterhalt und sein Lebenswerk, bis alles in einem einzigen, erschütternden Augenblick anders wurde. Beim Hüten seiner Herde trat er ahnungslos auf eine versteckte Landmine, und seine schrecklichen Verletzungen führten zum Verlust eines Beins und damit des Berufs, den er seit seiner Kindheit gelernt und geliebt hatte, und damit auch der Möglichkeit, seine Familie zu versorgen.

«Es war sehr schwierig, zu Hause zu bleiben und nicht gehen zu können», so Omar. «An einem einzigen Tag wurde ich arbeitsunfähig und arbeitslos. Die Lebenshaltungskosten waren zu hoch für mich, und so musste ich mein Haus verlassen; ich konnte weder die Miete zahlen noch meine Kinder ernähren», sagte Omar. 

Acht Monate nach seiner Verletzung erhielt Omar vom IKRK im Rehabilitationszentrum Erbil in der Region Kurdistan eine Prothese. Er erfuhr von den kostenlosen Diensten des Zentrums durch einen Freund - ebenfalls ein Schafhirte -, der sein Bein auch durch einen Minenunfall verloren hatte. Jetzt gewöhnt sich Omar mit Hilfe seiner Prothese langsam an sein neues Leben.

Die Rolle des IKRK bei der Genesung und der Prävention

Das IKRK arbeitet in einigen der am schwersten von Minen betroffenen Länder der Welt und unterstützt Opfer in jedem Stadium der Genesung.

  • Prothetik und Orthetik: Das IKRK unterstützt in 30 Ländern über 150 Reha-Zentren, die jedes Jahr Tausenden von Überlebenden massgeschneiderte Prothesen und Mobilitätshilfen zur Verfügung stellen.
  • Rehabilitation: Neben der Prothese erhalten die Patienten Physiotherapie, Gehtraining und Nachsorge, um ihre Kraft und ihr Selbstvertrauen zu fördern.
  • Psychische Gesundheit und psychosoziale Unterstützung: Genesung ist nicht nur eine körperliche Angelegenheit. Beratung und Unterstützung durch Gleichaltrige helfen Überlebenden, das Trauma zu verarbeiten und wieder Anschluss an ihre Gruppen zu finden. 
  • Aufklärung über Minengefahren: In Gebieten, in denen es noch Minen gibt, arbeiten IKRK-Teams mit lokalen Partnern zusammen, um lebensrettende Aufklärungskurse durchzuführen, insbesondere für Kinder.
  • Appelle an die Vertragsparteien, die rechtlichen Vorgaben einzuhalten: Durch technische Beratung und humanitäre Diplomatie fördert das IKRK die Einhaltung des Völkerrechts sowie des Übereinkommens über das Verbot von Antipersonenminen, das klare Minenräumungsziele vorgibt.

Eine Entscheidung mit verheerenden Folgen

Trotz der Behauptung ihres strategischen Wertes überwiegt der inakzeptable Schaden, den Antipersonenminen zur Folge haben, bei weitem ihren begrenzten militärischen Nutzen. Mit diesen Waffen lassen sich keine Schlachten gewinnen - ihre militärische Bedeutung wird masslos übertrieben und nur selten durch Beweise aus realen Einsätzen belegt.

In der Praxis

  • Antipersonenminen verursachen oft Verluste unter den Truppen, die sie einsetzen, auch unter befreundeten Streitkräften.
  • Sie behindern die militärische Mobilität.
  • Sie töten Kinder auf dem Schulweg, Bauern auf ihren Feldern, Zivilisten auf der Flucht in ihre Heimat sowie Friedenstruppen und Minenräumer.

Aufruf an die Staaten, das Übereinkommen über Antipersonenminen einzuhalten

Niemand sollte einen Körperteil für einen Krieg verlieren, den er oder sie sich nicht ausgesucht hat. Am Internationalen Tag der Landminen stehen wir an der Seite der Überlebenden und setzen uns weiterhin dafür ein, dass jeder Schritt ein sicherer Schritt ist. Der Mut der Überlebenden zeigt uns, dass es auch nach einem Konflikt immer einen Weg nach vorn gibt.