Forensische Wissenschaft und humanitäre Arbeit

Wenn Menschen im Krieg, bei Katastrophen oder auf einer Migrationsroute sterben, müssen die Leichen mit Respekt und Würde behandelt werden; sterbliche Überreste unbekannter Personen müssen gesucht, geborgen und identifiziert werden. Diese Aufgaben gehören mittlerweile zur humanitären Arbeit und die forensische Wissenschaft bietet diesbezüglich zahlreiche Instrumente und die entsprechende Expertise.

Die Suche nach sterblichen Überresten und deren Untersuchung kann sich als schwierig erweisen, insbesondere wenn die Leichen in geheimen Gräbern beerdigt wurden. Eine Untersuchung und Identifizierung wird umso komplizierter, wenn die Zahl der nicht identifizierten Überreste in die Hunderte geht. Das IKRK berät, unterstützt und schult lokale Behörden und Forensiker bei der Suche, Bergung, Untersuchung, Identifizierung und bei der Verwaltung grosser Mengen nicht identifizierten und unterschiedlich stark verwesten Überresten. Auch wenn die forensische Infrastruktur hoch entwickelt ist, übersteigt diese Arbeit häufig die Fähigkeiten lokaler Behörden und Forensiker. Das IKRK konzentriert sich auf den Aufbau von nachhaltigem forensischem Wissen auf lokaler Ebene, da externe Hilfe für die oftmals Jahrzehnte dauernden Projekte gegebenenfalls nicht zur Verfügung steht. Das IKRK fördert ausserdem die Nutzung bewährter Vorgehensweisen in der Forensik sowie die Bereitstellung notwendiger Schulungen.

Die forensischen Dienste des IKRK werden an die jeweiligen Bedürfnisse angepasst und sind Teil eines integrierten humanitären Ansatzes, der Schutzmassnahmen, rechtliche Orientierungshilfe, psychosoziale Unterstützung, Gesundheitsleistungen, wirtschaftliche Hilfe, Zugang zu Wasser und angemessener Unterkunft sowie die Minderung humanitärer Folgen von Waffen-Kontaminierung berücksichtigt.

Bewaffnete Konflikte

Gemäss humanitärem Völkerrecht müssen die sterblichen Überreste von Menschen, die in bewaffneten Konflikten ihr Leben verloren haben, angemessen und mit Würde behandelt werden. Allerdings ist es in Konfliktsituationen häufig nicht möglich, die Überreste von Verstorbenen - Zivilisten und Soldaten gleichermassen - unmittelbar zu bergen und diese angemessen zu behandeln. In vielen Fällen sterben Menschen, die von ihren Familien getrennt oder auf gewaltsame Weise verschwunden sind, bevor sie wieder zu ihren Angehörigen zurückgebracht werden können; so gibt es keine Informationen über den Verbleib ihrer Überreste. Die Nachfrage nach forensischen Leistungen und der Expertise des IKRK steigt bei staatlichen Stellen und lokalen Forensikern, die ihren völkerrechtlichen Verpflichtungen hinsichtlich des Umgangs mit den Leichnamen und der Bereitstellung von Informationen an die Hinterbliebenen nachkommen müssen.

Im Kaukasus hilft das IKRK den Familien vermisster Personen bei ihren rechtlichen, wirtschaftlichen und psychosozialen Bedürfnissen. Gleichzeitig arbeitet das IKRK zusammen mit den Behörden am Aufbau des erforderlichen forensischen Wissens und der Entwicklung von Mechanismen zur Verbesserung der Kommunikation, Kooperation und Koordinierung zwischen den Akteuren, die mit der Klärung des Schicksals vermisster Personen beauftragt sind.

Katastrophen

Nach Naturkatastrophen oder von Menschenhand verschuldeten Unglücken ist es entscheidend, die sterblichen Überreste zeitnah zu bergen, angemessen zu behandeln und im Idealfall zu identifizieren. Ist die lokale Infrastruktur zerstört, kann dies zu einer besonders schwierigen Aufgabe werden. Aus diesem Grund stellt das IKRK den lokalen Behörden und Rettungskräften materielle Unterstützung sowie Beratung und Schulungen bereit. Letztere ermöglichen den Ersthelfern, Informationen zu sammeln und aufzuzeichnen, um die Wahrscheinlichkeit zu erhöhen, die Toten zu identifizieren. Es kann für die Familien tröstlich sein, zu wissen, dass angemessen und würdevoll mit den sterblichen Überresten ihrer Angehörigen umgegangen wurde.

In Nepal arbeitet das IKRK mit Ersthelfern, dem Nepalesischen Roten Kreuz und den nationalen Behörden zusammen, um ihre Reaktionsfähigkeit auf Katastrophen zu verbessern und Kompetenzen, wie z.B. mit sterblichen Überresten umzugehen ist, nachhaltig aufzubauen.

Migration

Entlang der Migrationsrouten kann die Anzahl nicht identifizierter sterblicher Überreste die lokale forensische Infrastruktur überfordern; in der Folge erhalten die Familien der Opfer keine Informationen über das Schicksal ihrer Angehörigen und können diese weder bergen noch entsprechend um sie trauern. Das IKRK arbeitet zusammen mit den lokalen Behörden und Forensikern an der Entwicklung standardisierter Verfahren und Vorgehensweisen zur Verbesserung von Kommunikations- und Kooperationsstrategien im Umgang mit diesen Aufgaben.

In Mexiko stellen das IKRK und das Mexikanische Rote Kreuz inländischen und anderen Migranten, die durch Mexiko unterwegs sind, Schutz und Hilfe – grundlegende medizinische Leistungen, Zugang zu Wasser und sanitären Einrichtungen, Familienzusammenführungen usw. – bereit. Das IKRK arbeitet auch mit den nationalen medizinisch-rechtlichen Diensten zusammen, um inländische Verfahren und Vorgehensweisen zur Verbesserung im Umgang mit sterblichen Überresten und deren Identifizierung zu entwickeln.