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Gaza: Der lange Weg zurück

Seit der Umsetzung der Waffenruhe kehren Hunderttausende Palästinenserinnen und Palästinenser nach Gaza – oder was davon übrig geblieben ist – zurück.
People walking along a dusty road
Ahmed Al Waheidi/KIKR

Viele erkennen mit eigenen Augen, dass grosse Teile des Gazastreifens in Trümmern liegen: viele Viertel sind aufgrund riesiger Krater, zerstörter Häuser sowie Schutt und Asche nicht wiederzuerkennen. 

Viele sind in den Norden zurückgekehrt, wo es an einer grundlegenden Versorgung fehlt. Es gibt kaum Benzin und keine Möglichkeit, Wasser in die Häuser zu pumpen. Die Menschen müssen stundenlang durch zerstörte Strassen laufen, um Trinkwasser zu finden – und selbst das ist mitunter nicht 100 % sicher.

Selbst das Wiedererkennen der eigenen Nachbarschaft kann sich als schwierig gestalten. Orientierungspunkte sind verschwunden, so dass jeglicher Orientierungssinn leicht verloren geht. 

Die Menschen hatten von der Zerstörung gehört, aber diese nun mit eigenen Augen zu sehen, ist einfach schrecklich. 

A child observes as crowds of people walk along a road
Ahmed Al Waheidi/KIKR

Da immer mehr Menschen in den Norden aufgebrochen sind, sind die Gebiete im Süden mittlerweile weniger bevölkert, obschon die Situation nicht weniger schlimm ist. Aufgrund einer fehlenden Infrastruktur und unzähligen Feststoffabfällen kombiniert mit dem Zustrom von Menschen in den letzten Monaten besteht das Risiko, dass alles nach nur wenigen Minuten Niederschlag überschwemmt wird. 

Der Winter in Gaza bedeutet zudem fallende Temperaturen und heftige Winde. Viele der in den Süden vertriebenen Menschen leben seit Monaten in Zelten mit denselben Decken und Plastikartikeln. Die Qualität dieser Behelfsunterkünfte hat sich dramatisch verschlechtert. So können die Unterkünfte nach so langer Zeit und in einem harten Winter nicht einmal einen grundlegenden Schutz bieten. Wenn der Wind den Regen über das Meer ins Landesinnere fegt, werden die gesamten Unterkünfte feucht und es besteht kaum Hoffnung, dass alles wieder trocknet. 

Tents soaked with rainwater on wet ground
Ahmed Al Waheidi/KIKR

Für diejenigen, die lange Strecken zurückgelegt haben, um wieder in den Norden zu gelangen, ist es sogar nicht immer möglich, die Planen und das Plastik mitzunehmen, um sich gegen die Witterung zu schützen, weil sie sich vor allem darum kümmern müssen, ihre Kinder zu tragen oder ältere Angehörige zu begleiten. Die Menschen suchen Schutz unter den eingestürzten Häusern, in denen die Gefahr von Blindgängern zwar allgegenwärtig ist, dieser aber aufgrund anderer vordringlicher Bedürfnisse wie dem Schutz vor der Witterung und einer Versorgung mit Lebensmitteln und Wasser weniger Bedeutung eingeräumt wird.

Eine Rückkehr nach Gaza ist nicht leicht, obwohl viele Menschen froh sind, die Orte zu verlassen, an die sie vor über einem Jahr vertrieben worden waren. Einige von ihnen, denen das Ausmass der Zerstörung im Norden nicht bewusst war, haben entschieden, wieder umzukehren und zurück in den Süden zu gehen. Auf dem Weg sind viele vor Erschöpfung zusammengebrochen und einige haben die Reise leider nicht überlebt. 

Diejenigen, die es zurück nach Hause schaffen, berichten uns, dass sie völlig übermannt sind von ihren Gefühlen. Es ist eine Mischung aus Hoffnung, Schock und Verzweiflung. Sie haben 15 Monate Konflikt hinter sich, sind wieder und wieder entwurzelt worden und waren gezwungen, ihre Häuser und Gemeinschaften zurückzulassen. Sie wissen nicht mehr, wo sie sich zugehörig fühlen sollen. 

People walking along a dusty road
Ahmed Al Waheidi/KIKR

Nach den enormen Anstrengungen, über ein Jahr lang gerade einmal die grundlegendsten Bedürfnisse zu erfüllen, kehren sie nun nach Hause zurück und müssen feststellen, dass sie kein Dach über dem Kopf haben, alles zerstört und auch der Zugang zu Nahrungsmitteln, Wasser und einer Gesundheitsversorgung kaum vorhanden ist. Zudem macht die Kälte des Winters das Leben noch schwerer. Ohne eine angemessene Unterkunft und Treibstoff ist allein eine warme Bleibe eine Herausforderung, mit der viele umgehen müssen. 

Das IKRK setzt seine Hilfslieferungen und seine Unterstützung für die notleidende Bevölkerung in Gaza fort. Infolge dieses lang anhaltenden Konflikts stehen vor allem die Menschen im Mittelpunkt, die am meisten unter den Kämpfen gelitten haben.

Nach 15 Monaten sind der Weg zurück und der Wiederaufbau weiterhin sehr lang. 

a destroyed neighbourhood in Gaza
Ahmed Al Waheidi/KIKR

Das IKRK in Gaza

Schutz der Menschen unterwegs: Unsere Massnahmen

  • Sensibilisierung für Blindgänger: Wir helfen Menschen, sicher zu leben, indem wir sie über die Gefahren von Blindgängern aufklären. Dazu gehören Wandbilder entlang der wichtigsten Strecken, Videos und der Einsatz geschulter Teams der Palästinensischen Rothalbmondgesellschaft (PRCS) zur Vermittlung von Sicherheitshinweisen an die Menschen unterwegs. Wir unterstützen auch Ersthelfer, indem wir sie auf neue Waffenarten schulen und sie mit Schutzausrüstung und Handgeräten ausstatten.
     
  • Unterstützung bedürftiger Menschen: Wir unterstützen bis zu 2 200 Menschen mit Mobilitätseinschränkungen, darunter Menschen mit Behinderung oder chronischen Erkrankungen. Mit dieser laufenden finanziellen Unterstützung erhalten die Menschen Zugang zu Transportmitteln, beispielsweise durch die Miete eines Fahrzeugs oder Esels, sowie zu einer medizinischen Versorgung in dieser wichtigen Zeit.
     
  • Medizinische Nothilfe: Die PRCS hat entlang der Strecke eine Informationsstelle eingerichtet, an der Menschen medizinisch versorgt werden können.
     
  • Zugang zu sauberem Wasser: Neue LKW zur Versorgung mit Wasser stellen entlang der wichtigsten Strecken Wasser bereit, damit die Menschen nicht dehydrieren und die hygienischen Verhältnisse verbessert werden.
     
  • Verhinderung der Trennung von Familien: Die Teams der PRCS stehen entlang der Strecke bereit, um sicherzustellen, dass Angehörige nicht voneinander getrennt werden. Zusätzliche Teams kümmern sich darum, Menschen zu helfen, die andere Familienmitglieder aus den Augen verloren haben.

Mit diesen Bemühungen sollen die Risiken verringert, grundlegende Hilfe bereitgestellt und Menschen unterwegs unter enorm herausfordernden Bedingungen unterstützt werden.

ICRC Landcruisers driving past fallen buildings
ICRC truck driving on road
ICRC mural on the walls of a half-destroyed building giving information about unexploded ordinance
 ICRC mural on the walls of a building giving information about unexploded ordinance