Bericht

7 wichtige Fakten zum Thema Klimawandel und Konflikt

Der neue IKRK-Bericht „When rain turns to dust" befasst sich mit der Frage, weshalb Länder, in denen ein Konflikt ausgetragen wird, besonders stark von den Auswirkungen von Klimawandel und Klimaschwankungen* betroffen sind.

Dies sind die sieben Dinge, die Sie wissen müssen:

1. Von den 20 Ländern, die als besonders anfällig für den Klimawandel gelten, sind 12 in einen Konflikt verwickelt

Der ND-GAIN Country Index zeigt die Anfälligkeit eines Landes für den Klimawandel und andere globale Probleme, gemessen an seiner Fähigkeit, seine Belastbarkeit zu erhöhen.
Der Jemen, Mali, Afghanistan, die Demokratische Republik Kongo und Somalia, die alle durch einen Konflikt in Mitleidenschaft gezogen sind, gehören in diesem Länderindex zu den letztplatzierten Ländern.

Das heisst nicht, dass es einen ursächlichen Zusammenhang zwischen Klimawandel und Konflikt gibt. Es ist vielmehr ein Hinweis darauf, dass Konfliktgebiete dem Klimawandel weniger gewachsen sind, weil ihre Anpassungsfähigkeit durch den Konflikt beeinträchtigt ist.

Daher sind die Menschen in Konfliktgebieten besonders anfällig für die Klimakrise und werden bei Klimaschutzmassnahmen am wenigsten berücksichtigt.

2. Klimawandel ist keine unmittelbare Konfliktursache, aber...

In der Wissenschaft besteht im Allgemeinen Einigkeit darüber, dass der Klimawandel nicht unmittelbar zu bewaffnetem Konflikt führt, dass er jedoch indirekt die Gefahr eines Konflikts erhöht, indem er soziale, wirtschaftliche und ökologische Probleme verschärft.

Wenn sich zum Beispiel Viehzüchter und Ackerbauern gezwungen sehen, die aufgrund des Klimawandels knapper werdenden Ressourcen miteinander zu teilen, dann kann es dort zu Spannungen kommen, wo es an guter Regierungsführung und integrativen Institutionen mangelt.

3. Unsicherheit beeinträchtigt die Fähigkeit der Menschen, Klimaschocks zu bewältigen

Eine Fallstudie aus Mali, das seit Jahren von Konflikten heimgesucht wird, macht dies deutlich.

In den 1970er-Jahren kam es in Westafrika zu anhaltender Dürre und Hungersnot. Isa, ein Gemeindevorsteher aus dem Norden des Landes, erzählt:

„Damals mussten wir nur auf die Suche nach Nahrung gehen. Wir konnten uns mit unseren Tieren frei bewegen. Heute können wir nicht einmal mehr Nahrung suchen. Wegen der Unsicherheit müssen wir am Ort bleiben oder in die Stadt ziehen."

Anfang 2019 wurde südlich von Gao infolge von Überschwemmungen das Weideland knapp. Die Hirten zögerten jedoch, mit dem Vieh zu wandern, weil sie Überfälle von bewaffneten Gruppen oder Räubern befürchteten.

Stattdessen zogen sie in die Nähe von Wasserstellen, wo es zu Spannungen mit Ackerbauern und Fischern kam. Als die Tiere wegen Futtermangel schwächer wurden, mussten sie sie für wenig Geld verkaufen.

Aufgrund der Unsicherheit konnten sie nicht zu weiter entfernten Viehmärkten ziehen, wo sie höhere Preise erzielt hätten. Staatliche Beamte – und damit potenzielle staatliche Unterstützung – waren wegen der Gewalt nicht vor Ort. Die Gewalt schränkte auch den Zugang für humanitäre Organisationen erheblich ein.

Kurz: Verarmte Hirten mussten zusehen, wie ihr einziges Besitztum verkümmerte. Ihnen blieb kaum etwas, um ihre Familien zu ernähren.

People living in conflict zones are among the most vulnerable to the climate crisis and most neglected by climate action. Samuel TURPIN / Humans & Climate Change Stories

4. Die Anpassung an den Klimawandel kann relativ einfach sein, doch oft kann sie auch komplizierter werden

Unter bestimmten Umständen reicht die Umstellung auf andere Nutzpflanzen. Doch die Anpassung an den Klimawandel kann auch weitreichende soziale, kulturelle oder wirtschaftliche Veränderungen erforderlich machen. Möglicherweise muss die gesamte Landwirtschaft verändert oder müssen Krankheiten behandelt werden, die in dieser Region noch nie aufgetreten waren.

Koordinierte Bemühungen um eine Anpassung sind in Kriegszeiten eher selten. In Konfliktsituationen sind Behörden und Institutionen geschwächt und befassen sich zudem in erster Linie mit Sicherheitsfragen.

5. Die natürliche Umwelt ist häufig ein Opfer von Konflikten

Im Krieg wird die natürliche Umwelt allzu oft gezielt angegriffen oder beschädigt. Infolge von Angriffen können Schadstoffe freigesetzt werden, die Wasser, Boden und Luft verseuchen. Explosive Kriegsmunitionsrückstände können Böden und Wasser kontaminieren und der Tierwelt Schaden zufügen. Diese Umweltzerstörung** verringert die Widerstandskraft der Menschen und ihre Fähigkeit, sich dem Klimawandel anzupassen.

Die indirekten Auswirkungen eines Konflikts können auch weitere Umweltzerstörungen zur Folge haben. So kann es zum Beispiel dazu kommen, dass die Behörden nicht mehr in der Lage sind, die Umwelt zu kontrollieren und zu schützen; dass Massenvertreibungen die vorhandenen Ressourcen überfordern; dass natürliche Ressourcen ausgebeutet werden, um die Kriegswirtschaft aufrechtzuerhalten. In Faw südlich von Basra (Irak) sind die Wasser- und Ackerbauprobleme nach Ansicht der Bevölkerung dadurch verursacht, dass während des Ersten Golfkriegs die Dattelpalmen aus militärischen Gründen gefällt wurden.

Konflikte können auch zum Klimawandel beitragen. Zum Beispiel kann die Zerstörung grosser Waldgebiete oder die Beschädigung von Ölförderungsanlagen oder grossen Industriebetrieben verheerende Auswirkungen auf das Klima haben, darunter die Freisetzung grosser Mengen von Treibhausgasen.

6. Das humanitäre Völkerrecht (HVR) schützt die natürliche Umwelt

Bereits 1977 verankerten die Staaten den Schutz der natürlichen Umwelt vor ausgedehnten, lang anhaltenden und schweren Schäden im Zusatzprotokoll I zu den Genfer Abkommen.

Eine strengere Einhaltung des Kriegsvölkerrechts kann die Schäden und Gefahren verringern, denen die von einem Konflikt betroffene Bevölkerung infolge des Klimawandels ausgesetzt ist.

Zum Beispiel kann der Klimawandel die Wasserknappheit verschlimmern und Anbauflächen reduzieren. Durch das Verbot von Angriffen auf die für die Zivilbevölkerung lebensnotwendigen Objekte – darunter Ackerbauflächen und Trinkwasser – schützt das HVR diese Ressourcen vor zusätzlicher konfliktbedingter Gewalt.

7. Humanitäre Einsätze müssen angepasst werden

Die Klimakrise verändert die Art und die Tragweite humanitärer Krisen. Die humanitären Organisationen sind bereits heute überlastet und werden den aufgrund des ungebremsten Klimawandels exponentiell zunehmenden Bedürfnissen künftig nicht mehr gewachsen sein.

Um den Klimawandel unter Kontrolle zu bringen, sind gewaltige Anstrengungen notwendig, darunter erhebliche systemische und strukturelle Veränderungen, politischer Wille, gute Regierungsführung, Investitionen, technisches Know-how und ein Umdenken.

Humanitäre Organisationen müssen zusammenarbeiten, um den Klimaschutz zu stärken. Obwohl die Menschen in Konfliktgebieten durch den Klimawandel besonders stark gefährdet sind, stehen dort bei Weitem nicht so viele Mittel für Klimaschutzmassnahmen zur Verfügung wie in stabilen Ländern. Daher müssen Konfliktgebiete mehr Mittel erhalten, um den Menschen bei der Anpassung an den Klimawandel zu helfen.

*Der Begriff Klimawandel bezeichnet jede Art von Klimaveränderung, die über einen längeren Zeitraum – in der Regel mindestens Jahrzehnte – anhält. Klimaschwankungen sind Veränderungen der klimatischen Bedingungen innerhalb eines kürzeren Zeitraums, etwa einem Monat, einer Jahreszeit oder einem Jahr. Veränderungen wie die Häufigkeit oder Stärke von Niederschlägen, tropischen Wirbelstürmen, Temperaturen etc. können aussergewöhnlich und dennoch Teil der natürlichen Klimaschwankungen sein. Anhaltende Schwankungen können ein Zeichen von Klimawandel sein.

** Umweltzerstörung ist ein Prozess, der die natürliche Umwelt beeinträchtigt. Dieser Prozess kann vollkommen natürlich sein oder durch menschliche Aktivitäten beschleunigt oder verursacht werden.