Demokratische Republik Kongo (DRK): Djugu, Überleben im Schatten der Gewalt

Demokratische Republik Kongo (DRK): Djugu, Überleben im Schatten der Gewalt

Das Gebiet von Djugu in der Provinz Ituri im Nordosten der DRK ist aufgrund der chronischen bewaffneten Gewalt immer wieder von Zwangsumsiedlungen betroffen. Im Jahr 2021 kehrten einige Bauern dank einer vorübergehenden Beruhigung auf ihr Land zurück. Sie mussten wieder von vorne anfangen und versuchen, zwei Jahrzehnte Gewalt zu vergessen.
Article 19. Dezember 2023 Demokratische Republik Kongo

Das rund 10 Kilometer von der Provinzhauptstadt Bunia entfernte Djugu ist ein reiches Gebiet in der Provinz Ituri, das für sein fruchtbares Ackerland und seine bedeutenden Goldvorkommen bekannt ist. Soziale Unterschiede und Streitigkeiten um Landrechte vertieften die Spaltungen zwischen den Bevölkerungsgruppen und führten zu Gewaltakten. Hinzu kamen die Versuche von meist gemeindebasierten bewaffneten Gruppen, die Goldminen zu kontrollieren.

Es kam immer häufiger zu bewaffneten Zusammenstössen, und dies führte zu Angriffen auf Dörfer und zur Tötung von Zivilpersonen. Weder Schulen noch Spitäler wurden verschont, und so standen praktisch keine Sozialdienste mehr zur Verfügung. Die Anzahl der seit November 2022 innerhalb der Region Vertriebenen beläuft sich auf schätzungsweise 653'500 Personen.

„Selbst Orte, an denen sich Binnenvertriebene aufhalten, werden manchmal angegriffen, was zu zahlreichen Todesfällen führt. In diesem Klima der Unsicherheit ist der humanitäre Zugang eingeschränkt, sodass die notleidende Bevölkerung keine Hilfe erhält", beklagt Frederik Michael Sostheim, Leiter der Unterdelegation Bunia.

Janvier Ngulo kehrte mit Ende 60 in das Dorf Nizi zurück, eine kleine Ortschaft im Gebiet von Djugu. Der Bauer hatte 2002 hilflos zusehen müssen, wie die Gewalt in seinem Dorf ausbrach. Bei den Ausschreitungen kamen mehrere seiner Angehörigen ums Leben - ein Ereignis, das er nie vergessen hat.

„In jenem Jahr ist Nizi förmlich explodiert. Es war kaum möglich, die Menschen zu zählen, die starben. Ich hatte viele Kinder und verlor drei von ihnen", sagt er.

Janvier NGULO (67), Vater von fünf Kindern, lebt wieder in Nizi im Gebiet von Djugu in der Provinz Ituri. Er war Zeuge verschiedener Konflikt- und Gewaltepisoden, die unauslöschliche Spuren in seinem Leben hinterlassen haben. Durch den Gewaltausbruch in Nizi verlor er eines seiner Kinder und später zwei weitere, weil sie keine gute medizinische Versorgung erhielten. Er gilt als ausgezeichneter Landwirt, doch seine landwirtschaftliche Tätigkeit beschränkt sich derzeit auf die Umgebung seines Hauses. Er hofft, mit dem vom IKRK bereitgestellten Saatgut einen Neuanfang machen zu können.

Foto: Benita Atosha / IKRK

Eine von Vorsicht und Angst geprägte Rückkehr

Im Anschluss an die Deeskalation, die vor einigen Monaten durch eine Mediation zwischen den bewaffneten Akteuren erreicht wurde, beschlossen viele Menschen, in ihre Heimat zurückzukehren. Seit Oktober 2021 sind etwa 8'500 Familien in die Region zurückgekehrt.

Borive Nzale war nach dem Wiederaufflammen der Feindseligkeiten in Nizi mit ihren Kindern nach Bunia geflüchtet. Angst und Vorsicht veranlassten sie, die Kinder in Bunia zurückzulassen und zunächst allein nach Nizi zurückzukehren. Dort stellte sie fest, dass das Gespenst des Krieges noch nicht verschwunden war.

„Es ist schwierig, den Ackerbau wie früher zu betreiben. Man hat immer noch das Gefühl, dass alles jederzeit eskalieren kann. Früher bestellte ich grosse Felder von etwa 130 Metern Länge, doch jetzt muss ich mich mit 50 Metern in der Nähe des Hauses begnügen, weil ich Angst habe, mich zu weit zu entfernen", sagt sie.

Diese ungewisse Ruhe bietet auch einigen Hilfsorganisationen die Möglichkeit, ihre Programme in Djugu wieder zu aktivieren. So kehrte z.B. das IKRK im Juli 2022 nach 20 Jahren Abwesenheit dorthin zurück. Doch an manchen Orten werden die bewaffneten Angriffe fortgesetzt und behindern weiterhin den Zugang zu Gebieten, in denen die Bevölkerung auf Hilfe angewiesen ist.

„Wir sind erst nach reiflicher Überlegung nach Djugu zurückgekehrt. Es ist uns gelungen, die Erinnerungen an unsere 2001 in der Nähe von Fataki ermordeten Kollegen zu verarbeiten und nun Tausenden von Menschen zu helfen, die durch den Teufelskreis der bewaffneten Gewalt in Mitleidenschaft gezogen sind", sagt Frederik Michael Sostheim.

Wo soll man anfangen?

Wenn ein IKRK-Team erstmals Zugang zu einem Gebiet hat, findet es im Stich gelassene Gemeinschaften vor, die vom ständigen Umherziehen erschöpft und deren Lebensbedingungen höchst prekär sind. In den meisten Dörfern wurden die Gesundheitseinrichtungen geplündert oder in Brand gesteckt und das Gesundheitspersonal war geflohen. Für die verbliebenen und die zurückgekehrten Bewohner ist es schwierig, den Ackerbau wieder aufzunehmen, da es kaum hochwertiges Saatgut gibt. Die IKRK-Teams führten mehrere Evaluierungen durch, und nachdem sie Sicherheitsgarantien erhalten hatten, begannen sie 2023 mit Hilfsmassnahmen in den Dörfern Nizi, Bambu, Kobu und Kilo.

Erstens geht es darum, die Probleme beim Zugang zur Gesundheitsversorgung zu beheben und den ausgeplünderten und beschädigten Gesundheitseinrichtungen bei der Wiederaufnahme ihrer Arbeit zu helfen. „Der Zugang zu medizinischer Versorgung in diesem gefährlichen Gebiet ist schwierig. Der Grossteil des medizinischen Personals ist vor den Gräueltaten geflohen", sagte Dr. Justin Lodja, medizinischer Leiter des Gesundheitsbezirks Kilo.

„Die Knappheit und die hohen Preise der wichtigsten Medikamente sowie die Inflation erschweren den Zugang zur Gesundheitsversorgung. Die Menschen bleiben lieber zu Hause und verzichten manchmal auf lebenswichtige Behandlungen", fügt er hinzu.
Zweitens bemühen sich die IKRK-Teams, der örtlichen Bevölkerung und den Zurückgekehrten bei der Wiederaufnahme des Ackerbaus zu helfen, damit sie sich selbst ernähren können.

„Um Saatgut kaufen zu können, verkaufe ich Trinkwasser, das ich aus einer Entfernung von fünf Kilometern hole. Ich verkaufe es für 1'000 kongolesische Francs (weniger als ein US-Dollar) pro 20-Liter-Kanister. Mit dem wenigen Geld, das ich verdiene, kann ich kleine Mengen Saatgut kaufen, das ich sparsam verwende", sagte Dolanela Theodorine, die wieder im Dorf Kilo lebt.

Theodorine Dolanelle (59), eine Witwe mit zehn Kindern, verlor ihre vier Brüder, die bei den Ausschreitungen 2020 ums Leben kamen. Sie ist nach Kilo zurückgekehrt, doch die Angst verfolgt sie noch immer. Daher hat sie sich entschieden, ihr Wohnhaus und ihre Bananenfelder aufzugeben und bei einer Gastfamilie zu leben. Um ein Auskommen zu finden, kann sie lediglich ein kleines Feld in der Nähe ihres früheren Hauses bewirtschaften. Wie viele andere Bäuerinnen in der Gegend bebaut sie ihr Feld in mehreren Etappen, je nach der Verfügbarkeit von Saatgut. Um eine kleine Menge Saatgut zu kaufen, verkauft sie einen 20-Liter-Wasserkanister für 1'000 kongolesische Francs (weniger als ein US-Dollar). Das Wasser holt sie aus einer Entfernung von fast fünf Kilometern. Sie freut sich über das IKRK-Saatgut, denn damit kann sie ihr ganzes Feld einsäen.

Foto: Benita Atosha / IKRK

Zwischen August und November 2023 stellten das IKRK und das Kongolesische Rote Kreuz Unterstützung für nahezu 8 500 Familien bereit.
Zwischen August und November 2023 stellten das IKRK und das Kongolesische Rote Kreuz Unterstützung für nahezu 8 500 Familien bereit. Benita Atosha / IKRK

Bis zur nächsten Ernte überleben

Zwischen August und November 2023 versorgte das IKRK einige Gesundheitseinrichtungen in der Region mit Medikamenten, sodass die Bevölkerung drei oder vier Monate lang kostenlosen Zugang zu diesen Arzneien hatte. Parallel dazu unterstützten Teams des IKRK in Zusammenarbeit mit dem Kongolesischen Roten Kreuz in diesen Monaten fast 8'500 Familien mit Saatgut für Mais, Bohnen und Fuchsschwanz sowie mit Ackergerät. Mehr als 8'000 Familien erhielten zudem finanzielle Unterstützung. Sie soll den Familien helfen, die Zeit bis zur Ernte zu überbrücken.
Diese Hilfen wurden begleitet mit Schutzmassnahmen und Überzeugungsarbeit bei den Behörden, um sie nachhaltiger zu machen.

„Es ist nicht gut, wenn man Angst hat, auf die Felder zu gehen und wenn man ausserdem jedes Mal nur einen kleinen Teil des Landes bewirtschaften kann. Eines Tages muss der Krieg in Ituri aufhören, damit wir unser normales Leben wieder aufnehmen können", sagt Borive Nzale abschliessend.

 

Ituri verzeichnet seit Anfang 2023 mehr als 500'000 zusätzliche Vertriebene, was die Gesamtzahl auf mehr als 1.650'000 Menschen ansteigen lässt, so das Büro der Vereinten Nationen für die Koordinierung humanitärer Angelegenheiten (OCHA). Zwischen Januar und Dezember 2022 betrafen 40 sicherheitsrelevante Vorfälle direkt humanitäres Personal oder humanitäre Güter. Im selben Jahr wurden sechs Einrichtungen für Binnenvertriebene angegriffen, wodurch mindestens 126 Menschen – darunter fast 40 Kinder – ums Leben kamen. Sicherheitsgarantien sind nach wie vor ein wichtiger Faktor für die Präsenz der humanitären Helfer und Helferinnen und für die Rückkehr der vielen vertriebenen Familien.