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„Als man sie das letzte Mal gesehen hat, hatte sie nur Fieber.“

Gedanken einer Kollegin aus dem Epizentrum der Ebola-Epidemie

Zawadis schmerzerfülltes Klagen trifft mich mitten ins Herz. Ich sehe, wie sie zusammenzuckt und ihr Körper sich unter der emotionalen Last krümmt, während ihr die Wut fast den Atem raubt. Fünf kaum zu erkennende menschliche Wesen in gelb-weissen Schutzanzügen aus Plastik bringen einen Leichensack mit den sterblichen Überresten ihres Familienoberhaupts, das soeben noch Mutter, Schwester oder Tante für sie alle gewesen ist.

Ich befinde mich im Ebola-Behandlungszentrum in Butembo, Nord-Kivu, in der Demokratischen Republik Kongo. Überall riecht es nach Chlor, alles ist steril und neutralisiert. Alles, bis auf den Schmerz. Einer der fünf gelben Minions öffnet den Leichensack und erlaubt einen Blick auf das Gesicht der toten Frau. In dem Moment bricht sich die Trauer Bahn. Die Helfer verlassen den Raum und gewähren Zawadis Familie ein wenig Privatsphäre. Ein Kollege kommt vorbei und sagt zu mir:

"An manche Dinge werden wir uns nie gewöhnen." Seine Worte treffen mich ins Mark. Ich fröstele und meine Augen füllen sich mit Tränen.

Ich arbeite seit über sechs Jahren für das Internationale Komitee vom Roten Kreuz in den Konfliktzonen dieser Welt. Ich habe das Leid vertriebener Menschen gesehen. Ich habe unbekannte Menschen beerdigt. Ich habe den unerträglichen Klang von Schusswaffen gehört.

Aber jetzt bin ich zum ersten Mal in einem Konfliktgebiet im Einsatz, in dem eine Epidemie ausgebrochen ist. Es war mir überhaupt nicht klar, was mich dort erwartete.

Zawadis Tränen haben mir plötzlich klargemacht, wie viele Menschen hinter den Zahlen und Statistiken stehen, die ich in den PowerPoint-Präsentationen gesehen hatte. Und der Schmerz, den ich im Herzen spüre, wird noch intensiver.

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Beni, Nord-Kivu, DRK. Freiwillige Helfer des Roten Kreuzes waschen sich ihre Hände, um sich vor einer möglichen Ansteckung zu schützen. CC BY-NC-ND / ICRC / Hanna Leskinen

Die Ebola-Epidemie in Nord-Kivu war im August 2018 offiziell erklärt worden. Sie war in einem Teil der östlichen Provinz der DRK ausgebrochen, die seit Jahren unter den Angriffen bewaffneter Gruppen, Entführungen und Terror leidet.

Die Weltgesundheitsorganisation hat ein umfassendes Programm zur Eindämmung des Virus auf den Weg gebracht und in der eine Million Einwohner zählenden Stadt scheint das Leben seinen gewöhnlichen Gang zu nehmen – bis man ein wenig an der Oberfläche kratzt.

Alle Hotels sind ausgebucht. Überall gibt es Stationen, an denen man sich die Hände mit gechlortem Wasser waschen kann. Anschliessend wird mit dem „Thermoflash" jedes Mal die Körpertemperatur gemessen. Meine Hände sind trocken und riechen wie das Schwimmbad meiner Kindheit. Ständig. Auch die Schuhsohlen werden behandelt und mit dem gebleichten Saum meiner Hose sehe ich aus, als wäre ich direkt einer Hippie-Kommune entsprungen. Desinfektionsmittel für die Hände sind allgegenwärtig und dieses höchst sterile Umfeld hat einen hohen menschlichen Preis: Berührungen sind komplett verboten. Ebola wird durch Körperflüssigkeiten übertragen. Tränen, Schweiss, Samenflüssigkeit, Blut. Deshalb ist es am besten, einfach niemanden zu berühren. Nie. Wir geben uns nicht die Hand. An eine Umarmung oder einen Kuss ist nicht einmal zu denken. Die Mutigsten unter uns berühren sich an den Ellbogen, um sich zu begrüssen, aber das ist schon alles.

Ich habe seit 25 Tagen bewusst keine einzige lebende menschliche Seele berührt und bekomme allmählich das Gefühl, von innen zu verfaulen. Und wenn es mir schon so geht, wie geht es dann erst den Familien der Opfer?

Zawadis Tränen haben mir gezeigt, dass die Trauer in diesem Teil des Kongo nicht ohne lautstarkes Klagen verläuft, mit dem die Menschen ihrem Schmerz und ihrer Verbindung zu den Verstorbenen Ausdruck verleihen.

Ebola verändert aber die Art zu trauern.

Die Rituale beinhalten typischerweise eine Zeit der Trauer, die ganz in der Nähe des Verstorbenen verbracht wird. Die Toten werden persönlich zurechtgemacht und anhand vieler anderer Gesten kommt es zu Berührungen des Leichnams. Zawadis Familie wird diese Rituale nicht durchführen können. Sie muss stattdessen hinter einer transparenten Plastikfolie Abschied nehmen, während die sterblichen Überreste mit Chlor eingesprüht werden. Anschliessend werden diese zunächst in einen Leichensack und dann in einen Sarg gelegt, bevor sie von komplett Fremden in beängstigenden Anzügen beerdigt werden.

Als man sie das letzte Mal gesehen hat, hatte sie nur Fieber. Man dachte, es wäre Malaria. Dann wurde sie ins Ebola-Behandlungszentrum verlegt, um schliesslich in einem Plastiksack zurückzukommen. Unerklärlich. Inakzeptabel. Brutal.

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Glücklicherweise sterben nicht alle, die ins Zentrum kommen. Bei einer rechtzeitigen Behandlung, sobald die ersten Symptome auftreten, können die Betroffenen geheilt werden. Diese Menschen gelten hier als „Überlebende" oder „Sieger". Machozi gehört zu ihnen. Er hat Ebola überlebt. Jetzt hilft er uns, die Bevölkerung über das Virus zu informieren.

Zusammen mit unsere kongolesischen Kollegen vom Roten Kreuz spricht er mehrere Tage pro Woche in Kirchen, Schulen und auf den Märkten über seine Erfahrungen, die Behandlungszentren und das Virus, um der Bevölkerung die Angst zu nehmen. Er ist sehr mutig, denn es ist nicht leicht, sich vor seine Mitbürger zu stellen und ihnen zu erklären, dass ihre Angst zwar berechtigt ist, sie aber nicht auf die vielen Gerüchte hören sollen.

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In einer Kirche in Vighole, einem Bezirk von Butembo, informiert Machozi die Einwohner über die Behandlung von Ebola. CC BY-NC-ND / IKRK / Paulin Bashengezi

Nein, sagt er, die Ausländer sind nicht hier, um unsere Organe zu stehlen. Nein, ein traditioneller Heiler kann Ebola nicht heilen. Ja, man muss ins Behandlungszentrum, sobald die ersten Symptome auftreten. Nein, die humanitären Helfer bekommen kein Geld für jeden Toten.

Eine Armee an Arbeitern, Gemeindeleitern, Informationspersonal und Psychologen setzt sich dafür ein, falschen Vorstellungen entgegenzuwirken und die Bevölkerung davon zu überzeugen, dass die Bekämpfung von Ebola auch ein Kampf gegen Gerüchte und Vorurteile ist. Ebola ist eine Krankheit und muss behandelt werden.

Der Umgang mit Epidemien gehört nicht zur typischen Arbeit im Rahmen der Einsätze des IKRK. Wir arbeiten aufgrund des Konflikts seit acht Jahren in der Gegend rund um Butembo und Beni.

Der Ausbruch der Krankheit hat auch die Internationale Föderation der Rotkreuz- und Rothalbmondgesellschaften (IFRC) auf den Plan gerufen, welche die internationalen Einsätze mit ihrer Erfahrung bei sicheren und würdevollen Bestattungen unterstützt. Sie koordiniert auch die Teams des Kongolesischen Roten Kreuzes, die sich um die sterblichen Überreste kümmern und diese nach äusserst strikten Regeln beerdigen, um eine weitere Ausbreitung von Ebola zu verhindern.

Das IKRK leistet Unterstützung anhand seiner Kenntnisse der Gegend sowie seiner Beziehungen zu den Behörden. Ausserdem stellt es sicher, dass alle Teams in einem sicheren Umfeld arbeiten können.

Ich beobachte das IKRK-Fahrzeug, das mit dem Sarg davonfährt. Zawadis Familie begibt sich unter Tränen und lautem Klagen zum Ausgang.

Ein weiterer Pick-up kommt ins Zentrum. Darin befindet sich der kleinste Sarg, den ich je gesehen habe. Ein zwei Wochen altes Baby ist letzte Nacht gestorben, nachdem die Grossmutter es drei Tage lang versteckt hat.

Die Mutter war vier Tage zuvor an Ebola gestorben, aber die Familie konnte es nicht glauben. Selbst der kleinste Leichensack ist viel zu gross für diesen Körper. Als die Helfer einen Blick auf ihren kleinen Kopf zulassen, muss ich an meine Familie und meine Freunde denken.

Einen kurzen Augenblick wünsche ich mich nach Hause zurück – umgeben von Liebe, nicht von Plastik.

Von Celine Degen