„Im Hinblick auf eine Militäroperation im dicht bevölkerten Rafah wiederholen wir unseren Appell an die Konfliktparteien und alle, die Einfluss auf sie haben, zivile Leben und zivile Infrastruktur zu verschonen“, so Fabrizio Carboni, IKRK-Regionaldirektor für den Nahen und Mittleren Osten. „Gemäss dem humanitären Völkerrecht müssen Konfliktparteien sicherstellen, dass lebenswichtige Güter geliefert und die erforderlichen Massnahmen zum Schutz der Zivilbevölkerung ergriffen werden. Es muss dringend mehr getan werden. Unzählige Menschenleben stehen auf dem Spiel.“
Gaza hat vier Monate intensiver Kampfhandlungen hinter sich. Um diesen zu entfliehen, haben sich viele Menschen in den Süden des Gazastreifens begeben, wo über 1,5 Millionen Menschen auf weniger als 20 % des Gebietes leben (auf rund 60 Quadratkilometern). Heute ist Rafah so stark übervölkert, dass Vertriebene verzweifelt nach einem freien Platz suchen, um ein rudimentäres Zelt aufzustellen.
Die meisten Menschen sind nicht direkt nach Rafah gekommen, sondern wurden zwei-, drei- oder gar viermal vertrieben. Es fehlt an Essen, Trinkwasser, Sanitäranlagen, Gesundheitsversorgung und Sicherheit. Aufgrund von Dauerstress und Angst, gepaart mit Verletzungen, Alter und Behinderungen, sind zahlreiche Bewohnerinnen und Bewohner geschwächt und in grosser Gefahr, an häufigen Infektionen oder Krankheiten zu sterben.
Diese Realität ist bei der Vorbereitung und Ausführung der nächsten Schritte im Konflikt zu berücksichtigen. Das humanitäre Völkerrecht (HVR) verbietet bestimmte Handlungen, darunter Zwangsvertreibungen, die Verwendung menschlicher Schutzschilder und unterschiedslose Angriffe, die ein unverhältnismässiges Mass an zivilen Todesopfern, Verletzten und Zerstörung fordern.
Wenn Kriegspläne eine Evakuierung der Bevölkerung im Vorfeld solcher Feindseligkeiten vorsehen, muss auch berücksichtigt werden, dass zahlreiche Menschen zerbombte Strassen benutzen, an den Trümmern zerstörter Gebäude vorbeigehen und Gebiete durchqueren, die mit Blindgängern kontaminiert sind. Im Rahmen von Evakuierungen ist sicherzustellen, dass Zivilpersonen sicher ankommen und zufriedenstellende Bedingungen in Sachen Hygiene, Gesundheit, Sicherheit und Ernährung vorfinden und dass Familienmitglieder nicht voneinander getrennt werden. Sie müssen nach Hause zurückkehren können, sobald die Feindseligkeiten zu Ende sind. Fragen, wie Menschen mit Behinderungen, Betagte und Kranke sicher transportiert, wo so viele Leute hingehen und sich sicher aufhalten können und wie ihre grundlegenden Bedürfnisse erfüllt werden können, müssen im Voraus beantwortet werden. Zudem schützt das HVR alle Zivilpersonen gegen die Auswirkungen von Feindseligkeiten, einschliesslich jene, die Rafah unter Umständen nicht verlassen können.
Israel als Besatzungsmacht muss sicherstellen, dass die grundlegenden Bedürfnisse der Zivilbevölkerung erfüllt werden. Zudem ist es unerlässlich – und nur noch dringender angesichts des humanitären Notstands und der eskalierenden Feindseligkeiten –, dass die tröpfchenweise nach Gaza eingelassene Hilfe sich in einen regelmässigen und kräftigen Strom verwandelt. Essen, Trinkwasser, Hygieneartikel, Medikamente und Material, um grundlegende Sanitäranlagen und angemessene Unterkünfte zu errichten, werden benötigt. Ein medizinisches Team des IKRK ist im europäischen Spital in Gaza stationiert, um seit Oktober täglich mehr als ein Dutzend dringende Operationen vorzunehmen. IKRK-Teams kommen humanitären Bedürfnissen nach, doch wir befürchten, dass umfangreichere Operationen weiterhin durch Probleme beim Zugang und der Sicherheit sowie durch die Waffen-Kontaminierung, die das Leben von Zivilpersonen und humanitären Helferinnen und Helfern gleichermassen gefährdet, behindert werden. Humanitäre Organisationen benötigen minimale Garantien, um Hilfe sicher transportieren und Menschen in Not rasch erreichen zu können.
Über das IKRK
Das Internationale Komitee vom Roten Kreuz (IKRK) ist eine neutrale, unparteiische und unabhängige Organisation mit einem ausschliesslich humanitären Auftrag, der in den Genfer Abkommen von 1949 verankert ist. Es hilft Menschen auf der ganzen Welt, die von bewaffneten Konflikten und anderen Formen von Gewalt betroffen sind, und es bemüht sich nach Kräften, ihr Leben und ihre Würde zu schützen und ihre Leiden zu lindern. Dies geschieht häufig an der Seite seiner Rotkreuz- und Rothalbmondpartner.
Jessica Moussan, IKRK Dubai, Tel.: +971 504 254 091, oder mailto:jmoussan@icrc.org