Humanitäre Krise in der Ukraine und den umliegenden Ländern

Die Folgen des internationalen bewaffneten Konflikts in der Ukraine für die Zivilbevölkerung in den letzten Monaten sind zusätzlich zu dem seit acht Jahren andauernden Konflikt im Donbass kaum zu ertragen. Zivilisten wurden getötet oder verwundet. Millionen Menschen sind auf der Suche nach Sicherheit in die Nachbarländer geflüchtet. Andere leben seit Monaten im Untergrund, wo sie Schutz vor Bombardierungen suchen. Häuser, Schulen, Spitäler und andere wichtige zivile Infrastruktur wurden zerstört. Ganze Städte wurden erheblich beschädigt.

Eine Frau umarmt ihren Sohn nach dem Überqueren der ungarisch-ukrainischen Grenze - 24. Februar 2022. REUTERS/Bernadett Szabo

Das IKRK ist seit 2014 in der Ukraine tätig. Um die steigenden Bedürfnisse zu erfüllen, hat das IKRK in enger Zusammenarbeit mit dem Ukrainischen Roten Kreuz und anderen Rotkreuz- und Rothalbmondpartnern seine Einsätze in allen unmittelbar von den feindlichen Handlungen betroffenen Gegenden sowie in den Nachbarländern ausgeweitet.

Aktuell arbeiten fast 700 Personen in Lwiw, Kamjanez-Podilskyj, Winnyzja, Kyiv, Poltawa, Dnipro, Odessa, Slowjansk, Luhansk und Donezk. Sie setzen sich gemeinsam mit den Partnern der Rotkreuz- und Rothalbmondbewegung dafür ein, Menschenleben zu retten und das Leid der Zivilbevölkerung zu lindern.

Für eine Unterstützung der regionalen Einsätze des IKRK wurden neue Büros in Moldau, Ungarn, Polen und Rumänien eingerichtet sowie die operativen Einsatzmöglichkeiten der 1992 eröffneten IKRK-Delegation in Russland ausgeweitet. Hunderte Personen stehen unterstützend im Einsatz, darunter OP-Teams, Experten für die Verseuchung durch Waffen und anderes Fachpersonal.

 

So helfen wir den betroffenen Menschen vor Ort:

DRINGENDE NOTHILFE

Zusammen mit dem Ukrainischen Roten Kreuz und anderen Rotkreuzpartnern stellt das IKRK dringende Nothilfe für Menschen in den betroffenen Gebieten sowie für von Kampfhandlungen vertriebene Personen bereit. Dazu gehören die Versorgung mit Nahrungsmitteln von über 800 000 Menschen sowie die Verteilung von Hygieneartikeln, Küchenutensilien, Haushaltsgeräten, Matratzen, Decken und anderem grundlegenden Material an über 300 000 Binnenvertriebene. Über 200 000 Menschen erhielten zudem Bargeldzuwendungen, mit denen sie dringende Ausgaben decken können. In der Republik Moldau stellte das IKRK zusammen mit der Moldauischen Rotkreuzgesellschaft Nahrungsmittelpakete und Hygienesets für 5 000 Familien bereit, während weitere 600 Familien in der Region Transnistrien Bargeldzuweisungen erhielten.


GESUNDHEIT

Gemeinsam mit dem Ukrainischen Roten Kreuz und anderen Rotkreuzpartnern Menschen hilft das IKRK den betroffenen Menschen – darunter Verwundete und Kranke – dabei, rechtzeitig medizinisch versorgt zu werden. Die Unterstützung umfasst über 120 Spitäler und Gesundheitseinrichtungen sowie die Bereitstellung von Medikamenten und anderen Vorräten zur Behandlung von über 50 000 Patientinnen und Patienten. Ferner werden über 2 000 Erste-Hilfe-Sets an das Ukrainische Rote Kreuz und andere Ersthelfer übergeben sowie Hunderte Verwundete und Kranke per Krankenwagen aus den vom bewaffneten Konflikt betroffenen Gegenden zur Behandlung evakuiert. Das IKRK setzt sich auch für die Versorgung der nicht sichtbaren Wunden ein. Dafür stellt es eine Hotline sowie Sitzungen für psychosoziale Unterstützung in den Vertriebenenzentren bereit und schult das Personal und die Freiwilligen des Ukrainischen Roten Kreuzes in diesem Bereich.


GRUNDLEGENDE INFRASTRUKTUR

Das IKRK hat auch seine Bemühungen zur Reduzierung von Störungen an grundlegenden Dienstleistungen wie der Wasserversorgung ausgeweitet. Dazu gehören Trinkwasserlieferungen per LKW in Gegenden, in denen die Versorgung unterbrochen ist. Den lokalen Versorgern werden entsprechende Fahrzeuge und Tanks zur Verfügung gestellt, während die lokalen Wasserkomitees mit Chemikalien zur Wasseraufbereitung versorgt und bei Reparaturarbeiten unterstützt werden. Diese Arbeit kommt Millionen Menschen, die unmittelbar vom bewaffneten Konflikt betroffen sind, zugute. Ferner hat das IKRK wichtigen Einrichtungen wie Gesundheitszentren, Pumpstationen und Vertriebenenstätten Stromgeneratoren bereitgestellt und Familien in den betroffenen Gegenden mit Material zu Instandsetzung ihrer Häuser versorgt.


SCHUTZ DER ZIVILBEVÖLKERUNG UND HUMANITÄRES VÖLKERRECHT

Das IKRK erinnert die Parteien des internationalen bewaffneten Konflikts in der Ukraine weiterhin an ihre Verpflichtungen aus dem humanitären Völkerrecht bzw. aus den Regeln der Kriegsführung. Es handelt sich um einen weniger sichtbaren Teil der Arbeit des IKRK, der aber nicht weniger wichtig ist. Es bedeutet, dass das IKRK direkt und auf vertraulicher Ebene mit den Parteien über ihre rechtlichen Verpflichtungen zum Schutz der Zivilbevölkerung und der zum Leben notwendigen Infrastruktur sowie anderer geschützter Gruppen wie Kriegsgefangene spricht.

Aufgrund dieser bilateralen, vertraulichen Gespräche mit allen Seiten des internationalen bewaffneten Konflikts in der Ukraine war auch die Evakuierung von Tausenden Zivilisten aus Mariupol und Sumy möglich. Ferner konnten auch Besuche von bestimmten Kriegsgefangenen, auf die das IKRK gemäss dem dritten Genfer Abkommen Recht hat, durchgeführt und die Familien entsprechend informiert werden. Wir sprechen auch weiterhin mit den Parteien über unser Recht, alle Kriegsgefangenen, die im Zusammenhang mit dem internationalen bewaffneten Konflikt in der Ukraine festgehalten werden, besuchen zu können, wo auch immer sie festgehalten werden. Es gibt immer mehr Familien, die auf Nachrichten von ihren Angehörigen warten und dringend Antworten benötigen.


ZUSAMMENFÜHRUNG VON FAMILIEN

Das IKRK hat für die vom internationalen bewaffneten Konflikt in der Ukraine betroffenen Menschen ein eigenes Büro des zentralen Suchdienstes eingerichtet. Dieses Büro erhebt, zentralisiert und übermittelt Informationen zum Schicksal und Verbleib von inhaftierten Personen (militärisch und zivil), die in die Hände des Feindes gefallen sind. Darüber hinaus hilft das Büro in Zusammenarbeit mit seinem umfassenderen Netzwerk an IKRK-Delegationen und nationalen Rotkreuz- und Rothalbmondgesellschaften Familien, die aufgrund des bewaffneten Konflikts voneinander getrennt wurden, ihre Angehörigen wiederzufinden.

 

BILATERALER DIALOG

Das IKRK wird auch weiterhin seinen bilateralen und vertraulichen Dialog mit den Konfliktparteien fortführen, um die von den Kampfhandlungen betroffenen Menschen zu schützen. Wir fordern alle an den Kampfhandlungen Beteiligten auf, die folgenden Punkte zu berücksichtigen:

  • Die Konfliktparteien in der Ukraine müssen das humanitäre Völkerrecht, einschliesslich der vier Genfer Abkommen von 1949 und des ersten Zusatzprotokolls von 1977, einhalten und den Schutz der Zivilbevölkerung und der Gefangenen sicherstellen. Sie dürfen keine Angriffe verüben, welche die Bestimmungen für die Kriegsführung verletzen oder verbotene Kampfmittel und -methoden anwenden. In besiedelten Gebieten sollte auf den Einsatz von Waffen, die grossflächige Zerstörung anrichten, verzichtet werden.
  • Angriffe dürfen nicht gegen zivile Objekte gerichtet sein. Grundlegende Infrastrukturen, inklusive Wasser-, Gas- und Elektrizitätswerke, die beispielsweise Unterkünfte von Zivilpersonen, Schulen und medizinische Einrichtungen mit lebenswichtigem Wasser und Strom versorgen, müssen verschont werden. Auch Cyberangriffe und Angriffe, die mittels neuer Technologien verübt werden, müssen das humanitäre Völkerrecht einhalten.
  • Ein geschützter Raum für neutrale, unparteiische und unabhängige humanitäre Hilfe muss gewahrt werden, damit Hilfeleistende wie das Ukrainische Rote Kreuz, das Internationale Komitee vom Roten Kreuz (IKRK) und die breitere Rotkreuz- und Rothalbmondbewegung Zugang zur Zivilbevölkerung erhalten.