Es ist für das IKRK wichtig, in bewaffneten Konflikten und anderen Situationen von Gewalt den Dialog mit den Gesetzeshütern aufrechtzuerhalten, weil diese für die Wahrung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit verantwortlich sind und Menschen in Not helfen. Bei der Ausübung ihrer Aufgaben dürfen sie Gewalt und Waffen einsetzen, Menschen verhaften und Eigentum durchsuchen bzw. beschlagnahmen. Die Art und Weise, wie sie diese Aufgaben ausüben, kann einen erheblichen Einfluss auf die von Konflikten und Gewalt betroffenen Menschen haben.
Ein Dialog mit den Gesetzeshütern kann herausfordernd sein, insbesondere in einem sich ständig ändernden Umfeld. Lang andauernde Konflikte und Unruhen finden oftmals in dicht besiedelten Gebieten statt und setzen die Zivilbevölkerung verschiedenen Risiken aus. Militär und Gesetzeshüter sind oftmals diejenigen, die das Gesetz in einem bewaffneten Konflikt durchsetzen müssen. Gewalt in urbanen Gegenden nimmt auch in anderen Situationen von Gewalt zu. Jüngste Technologien wie künstliche Intelligenz und autonome Waffen bedeuten neue Herausforderungen für die Kommandanten, die sicherstellen müssen, dass der Gesetzesvollzug den internationalen Menschenrechtsnormen entspricht. Das IKRK muss die Komplexität dieser Situationen berücksichtigen, wenn es einen Dialog mit den Gesetzeshütern eingeht und wenn es prüft, wie diese ihre Macht in einem solchen Umfeld ausüben können.
Die Arbeit der Gesetzeshüter kann auch die Arbeit des IKRK beeinflussen. Diese können den Zugang des IKRK zu den Betroffenen erleichtern oder behindern. Zudem können sie die Sicherheit des IKRK an bestimmten Orten wie Kontrollpunkten oder Haftanstalten und in bestimmten Situationen wie gewaltsamen öffentlichen Unruhen positiv oder negativ beeinflussen. Das Ziel des IKRK besteht darin, die Gesetzeshüter an ihre Verpflichtungen aus dem nationalen und internationalen Recht zu erinnern und ihr Verständnis sowie ihre Akzeptanz für die Arbeit des IKRK zu verbessern.
Gesetzeshüter sind oftmals die ersten Anlaufstellen der von Gewalt betroffenen Menschen, obschon sie selbst auch Opfer werden können. Da sie sehr sichtbare Vertreter des Staates sind, können sie bei Unruhen zur Zielscheibe des öffentlichen Ärgers oder in bewaffneten Konflikten von kriminellen Banden, bewaffneten Gruppierungen oder sogar staatlichen Streitkräften attackiert werden.
Das IKRK verfolgt einen besonderen Ansatz, in dessen Rahmen ehemalige Gesetzeshüter und Militärvertreter angeworben werden, um Rechtsfragen mit den aktuellen Gesetzeshütern zu besprechen. Für den Gesetzesvollzug gelten grundsätzlich die internationalen Menschenrechtsnormen, während in bewaffneten Konflikten Polizeikräfte auch dem humanitären Völkerrecht unterliegen, wenn sie von offizieller Seite Teil der bewaffneten Kräfte werden oder auf andere Art an Kampfhandlungen teilnehmen. In anderen Situationen können Streitkräfte gegebenenfalls den internationalen Menschenrechtsnormen unterliegen oder
Polizeikräfte können während eines Konflikts weiterhin am Gesetzesvollzug beteiligt sein. In diesen Fällen spricht das IKRK mit den zuständigen Personen, wie diese ihre Macht ausüben und ihre Verantwortung gegenüber der Bevölkerung wahrnehmen können, während gleichzeitig Verschiebungen zwischen dem humanitären Völkerrecht und internationalen Menschenrechtsnormen berücksichtigt werden.
Die Arbeit von Gesetzeshütern unterscheidet sich deutlich von der Arbeit von Soldaten. Ihre Aufgabe besteht nicht darin, den Feind zu eliminieren, sondern die öffentliche Ordnung und Sicherheit zu wahren sowie die Bevölkerung zu schützen – eine Bevölkerung, der sie als Zivilpersonen ebenfalls angehören. Gesetzeshüter können alleine oder zu zweit arbeiten und sie verfügen über ein gewisses Mass an Freiräumen bei ihrer Reaktion auf bestimmte Vorfälle. Dies muss bei ihrer Schulung und der ihnen zur Verfügung gestellten Ausrüstung berücksichtigt werden. So müssen sie beispielsweise mit ihrer Ausrüstung in der Lage sein, eine gestaffelte Reaktion umzusetzen und Schaden von unbeteiligten Zuschauern fernzuhalten. Bestimmte Waffen der Streitkräfte sind daher für Gesetzeshüter nicht angemessen; diese benötigen eher Schutzausrüstung als tödliche Waffen. Während das IKRK keine Ausrüstung liefert, arbeitet es mit seinen Partnern zusammen, um Bereiche zu identifizieren, in denen zusätzliche Ausrüstung dazu beitragen kann, humanitäre Bedenken zu minimieren. So führt die Ausstattung von Polizeikräften mit Schutzausrüstung gegebenenfalls dazu, dass diese weniger Gewalt einsetzen müssen.
Die Polizeidelegierten des IKRK streben einen Dialog mit dem Militär, der Polizei und Sicherheitskräften an, die am Gesetzesvollzug in einem Umfeld zunehmender Spannungen und humanitärer Bedenken beteiligt sind; dazu gehören Kontrollpunkte, Grossdemonstrationen, Kampagnen zur Entwaffnung und die Gewährleistung der öffentlichen Sicherheit bei Wahlen. Das IKRK tauscht sich mit Gesetzeshütern auf allen Ebenen aus – dazu gehören Polizeikräfte in den Polizeistationen vor Ort genauso wie leitende Polizeibeamte und Kommandanten. Die Rolle des IKRK besteht darin, die Gesetzeshüter an ihre Verantwortung gegenüber den Menschen, die von ihren Einsätzen betroffen sind, zu erinnern. Das IKRK fördert auch das Verständnis für seine neutrale, unabhängige und unparteiische Arbeit, mit der die Sicherheit gefährdeter Menschen gewährleistet werden soll.
Die Polizeidelegierten des IKRK sind alle ehemalige Polizeikräfte, was sie optimal auf ihre Arbeit vorbereitet, verschiedene Situationen zu prüfen und Gesetzeshütern entsprechende Empfehlungen abzugeben. Das IKRK greift auf seine Erfahrungen bei der wirksamen Förderung der Werte der Menschenrechtsnormen und des humanitären Völkerrechts zurück und unterstützt die Behörden bei der Berücksichtigung dieser Werte in ihren Herangehensweisen, Schulungen, Fortbildungen, Ausrüstungen und Sanktionen. Letztlich besteht das Ziel darin, ein Umfeld zu schaffen, in dem die Einhaltung der Grundregeln der Menschenrechtsnormen beim Gesetzesvollzug gefördert wird.