Medienmitteilung

IKRK: 600 registrierte Gewaltakte gegen Gesundheitspersonal im Zusammenhang mit COVID-19

 

Das Internationale Komitee vom Roten Kreuz registrierte in den ersten sechs Monaten der Pandemie mehr als 600 Gewaltakte, Schikanen und Stigmatisierungen, die im Zusammenhang mit COVID-19 gegen Gesundheitspersonal, Patienten und medizinische Einrichtungen verübt wurden.

Bei den 611 Vorfällen* in über 40 Ländern handelte es sich unter anderem um körperliche Gewalt, angstbedingte Diskriminierung sowie verbale Übergriffe oder Drohungen. Beunruhigend ist die Tatsache, dass es sich bei dieser Ziffer nur um die gemeldeten Fälle handelt; die tatsächliche Anzahl liegt vermutlich viel höher.

„Diese Krise bringt das Gesundheitspersonal in Gefahr – und das in einer Zeit, in der es am dringendsten gebraucht wird. Viele werden beleidigt, belästigt und tätlich angegriffen. Dieses Klima der Angst, das durch den Mangel an geeigneter Schutzausrüstung oft noch verschlimmert wird, erhöht ihren physischen und psychischen Stress und den ihrer Angehörigen ganz erheblich", sagte Maciej Polkowski, Leiter der IKRK-Initiative Health Care in Danger. „Diese Angriffe haben verheerende Auswirkungen auf den Zugang zu und die Verfügbarkeit von medizinischer Versorgung in Zeiten, in denen viele Gesundheitsdienste überlastet sind."

Geht die Gewalt von Mitgliedern der gleichen Bevölkerungsgruppe aus, spielt die Angst vor der Verbreitung des Coronavirus eine wesentliche Rolle. Geht die Gewalt von Patienten oder ihren Verwandten aus, sind der Tod eines Angehörigen oder die Angst vor seinem Tod die häufigsten Motive. Auch die Tatsache, dass Rituale wie Beerdigungen wegen der Pandemievorschriften nicht erlaubt sind, veranlasst manche Angehörige zu Angriffen auf Mitarbeitende und Einrichtungen des Gesundheitswesens.

Einige Beispiele aus den Monaten April und Mai:

  • In Afghanistan musste das wichtigste COVID-19-Isolationszentrum einen halben Tag schliessen, weil Angehörige eines verstorbenen Patienten das Gesundheitspersonal tätlich angriffen.
  • In Bangladesch wurde das Haus eines Arztes, der positiv auf das Virus getestet worden war, mit Steinen beworfen, um ihn und seine Familie aus der Gegend zu vertreiben.
  • In der Zentralafrikanischen Republik griffen Verwandte eines Verstorbenen das Pflegepersonal an, als ihnen die Leiche wegen der Pandemievorschriften nicht ausgehändigt wurde.
  • In Kolumbien hinderten Einwohner Ambulanzen daran, in eine Stadt zu fahren, um Menschen auf das Virus zu testen, und verschafften sich Zugang zu vertraulichen Krankenakten sowie Listen mit den Namen von Mitarbeitenden und Patienten.
  • In Pakistan wurden Ärzte in einem Spital verbal und körperlich angegriffen, nachdem ein Patient an COVID-19 gestorben war. Die Angehörigen drangen in den Sicherheitsbereich ein und schrien, das Coronavirus sei ein Schwindel.
  • Auf den Philippinen stellten Nachbarn einem Gesundheitshelfer und seinen Söhnen den Strom ab und belästigten und diskriminierten sie so lange, bis sie aus ihrem Haus flüchteten.

Von den Angriffen auf Personen richteten sich 67 % gegen Gesundheitspersonal, 22.5 % gegen Verletzte und Kranke (einschliesslich coronaverdächtiger Patienten) und 5 % gegen Binnenvertriebene und Flüchtlinge.

Das IKRK ruft Regierungen und Bevölkerungen auf, gegen Falschinformationen vorzugehen, die solche Vorfälle schüren, und dafür Sorge zu tragen, dass das Arbeitsumfeld aller Mitarbeitenden des Gesundheitswesens sicher ist.

Gewaltakte gegen Gesundheitsdienste sind nicht unvermeidlich. Es können konkrete Massnahmen getroffen werden, die die Gefahr von Angriffen auf Gesundheitspersonal, Patienten und medizinische Einrichtungen verringern.

„Die Angst vor einer Ansteckung und der Mangel an Grundkenntnissen über das Coronavirus sind häufig die Ursache der gegen Gesundheitspersonal und Patienten gerichteten Aggressionen", sagte Dr. Esperanza Martinez, Leiterin der IKRK-Abteilung Gesundheit. „Um das Personal, die medizinischen Einrichtungen und die Patienten vor Gewalt zu schützen, muss unbedingt sichergestellt werden, dass korrekte Informationen über den Ursprung, die Übertragungswege und die Prävention von COVID-19 verbreitet werden. Weder medizinisches Personal noch Patienten noch einzelne Gruppen dürfen stigmatisiert oder für das Auftreten oder die Verbreitung des Virus verantwortlich gemacht werden. Wir müssen uns auf unsere Mitmenschlichkeit besinnen, wenn wir diese Pandemie überstehen wollen."

* Die 611 Gewaltakte, Schikanen und Stigmatisierungen fanden zwischen dem 1. Februar und dem 31. Juli 2020 statt. Diese Anzahl beruht auf Berichten von Augenzeugen, die vom IKRK gesammelt wurden, sowie auf Daten anderer Organisationen, die solche Vorfälle im Gesundheitswesen beobachten, und auf systematisch ausgewerteten Berichten in Presse und sozialen Medien in 40 Ländern Afrikas, Nord- und Südamerikas, Asiens und des Nahen und Mittleren Ostens.

Weitere Informationen:

Anita Dullard, adullard@icrc.org oder +41 795 741 554

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