Der Zugang zu Wasser entscheidet in Konfliktgebieten immer häufiger über Leben und Tod / IKRK_Samuel Turpin

Zugang zu Wasser entscheidet in Konfliktgebieten immer häufiger über Leben und Tod

Dakar/Genf (IKRK). Der Zugang zu Trinkwasser bleibt auf der ganzen Welt ein grosses Problem. Hunderte Millionen Menschen, die in von Konflikten oder bewaffneter Gewalt betroffenen Gebieten leben, bekommen dieses Problem noch ausgeprägter zu spüren.
News release 21. März 2022 Äthiopien Syrien Ukraine

„Durch immer mehr anhaltende Konflikte und urbane Kriegsführung hat sich der Zugang zu Wasser zu einer der grössten humanitären Herausforderungen entwickelt, die durch die Folgen des Klimawandels weiter verschärft wird. Um sie zu meistern, müssen wir neue Wege finden und neue Partnerschaften entwickeln", warnte Gilles Carbonnier, Vizepräsident des Internationalen Komitees vom Roten Kreuz (IKRK) im Rahmen des 9. Weltwasserforums in Dakar.

Die betroffenen Bevölkerungsgruppen sind nicht nur mit den Folgen der bewaffneten Gewalt konfrontiert, sondern haben auch unter einer Verschlechterung der Grundversorgung zu leiden. So wurde die Trinkwasserproduktion in Syrien aufgrund des seit über zehn Jahren anhaltenden Konflikts um 30 bis 40 % verringert. Auch in der Sahelzone leiden die Menschen unter den Folgen des Klimawandels, der die Verknappung des Wassers mitverursacht und die Lebensbedingungen für Millionen von konfliktbetroffenen Menschen noch schwieriger macht.

Wasserknappheit in den Städten

Wie in der Ukraine zu beobachten ist, hat die Verlagerung des Krieges in die Städte gravierende Folgen. In Mariupol und anderen Städten verstecken sich die in gewalttätige Gefechte geratene Menschen in ungeheizten Kellern. Da ihnen kein fliessendes Wasser zur Verfügung steht, trinken sie abgekochten Schnee oder Wasser aus Heizkörpern.

Wenn der Krieg sich in städtische Gebiete verlagert, erhöht sich das Risiko einer Beschädigung oder Zerstörung wichtiger ziviler Infrastrukturen um ein Vielfaches, insbesondere, wenn Waffen mit einem grossen Explosionsradius eingesetzt werden. Ungeachtet dessen, ob die Beschädigungen oder Zerstörungen dieser Infrastrukturen absichtlich erfolgen oder nicht, erinnert das IKRK die Konfliktparteien unablässig daran, den Einsatz solcher Waffen in bewohnten Gebieten zu vermeiden, da die Folgen mit grosser Wahrscheinlichkeit verheerend sind und der Einsatz gegen das humanitäre Völkerrecht verstösst.

Die Beschränkung des Zugangs zu Wasser – eine Bedrohung für die Zivilbevölkerung

In bestimmten Situationen bringen die Konfliktparteien das Wasser und die landwirtschaftlichen Ressourcen unter ihre Kontrolle. Die Beschränkung des Zugangs zu Wasser als Kriegstaktik oder die Beschädigung von Wasserversorgungsanlagen, Abwasserreinigungsanlagen oder der Stromversorgung ist mit unmittelbaren und langfristigen negativen Auswirkungen für die Gesundheit von bereits stark geschwächten Menschen verbunden. Trinkwassermangel ist einer der Hauptgründe für Zwangsvertreibungen.

Muss daran erinnert werden, dass das humanitäre Völkerrecht (HVR) wahllose Angriffe und Angriffe auf zivile Einrichtungen, darunter die natürliche Umwelt, verbietet? Es gibt keinerlei Gründe, die es rechtfertigen würden, „für die Zivilbevölkerung lebensnotwendige Objekte" anzugreifen, zu zerstören, zu entfernen oder unbrauchbar zu machen. Dabei handelt es sich um einen schweren Verstoss gegen das HVR.

Die Last des Klimawandels

Von den 25 Staaten, die am schwersten vom Klimawandel betroffen und am wenigsten in der Lage sind, sich daran anzupassen, sind 14 in Konflikte verwickelt.

Obwohl der Zugang zu Wasser gemäss unserer Erfahrung nie direkt am Ursprung eines bewaffneten Konflikts steht, kann das Fehlen von Institutionen oder Mechanismen, die in der Lage sind, bei Spannungen zu schlichten und die Wasserressourcen gerecht zu verteilen, die Dynamik der Gewalt beeinflussen und die Gesellschaftsstruktur tiefgreifend verändern.

So führen die Verschlechterung und Verknappung der Ressourcen, die durch den Klimawandel verstärkt werden, in der Sahelzone zu Spannungen zwischen Bevölkerungsgruppen rund um den Zugang zu Wasserstellen, Anbau- und Weideflächen. Das Zusammenwirken des weltweiten Temperaturanstiegs und des fehlenden Niederschlags führt zu einem rasanten Anstieg der Ressourcenknappheit. Hinzu kommt die Präsenz zahlreicher bewaffneter Gruppen, wodurch die Nutzung von Transhumanz-Korridoren eingeschränkt wird.

Natürlich trägt die Tatsache, dass die öffentliche Hand kaum oder gar nicht in grundlegende Infrastrukturen investiert, wesentlich dazu bei, die offensichtlichen Unterschiede und gefährlichen Spannungen zwischen Bevölkerungsgruppen aufrechtzuerhalten. Um diese Spannungen zu verringern oder gegen sie vorzubeugen, sollten die Aufbereitung und Verteilung von Wasser in sowohl vom Klimawandel als auch von einem bewaffneten Konflikt schwer betroffenen Ländern als Priorität angesehen werden.

Permanenter Schutz der natürlichen Umwelt

Die Frage des Wassers ist eines der Hauptanliegen des IKRK. Die Bedürfnisse sind enorm und die Dringlichkeit ist alarmierend: Bis 2050 dürfte die Nachfrage nach Wasser weltweit um 30 % steigen .

2021 hat das IKRK über 37 Millionen Menschen mit dringend benötigtem Wasser versorgt, indem die für die Wasserversorgung und die Abwasserentsorgung zuständigen Stellen in den von anhaltenden Konflikten und den Folgen des Klimawandels betroffenen Gebieten unterstützt wurden.

Allerdings muss festgehalten werden, dass humanitäre Organisationen nicht in der Lage sind, den immer weiter wachsenden Bedürfnissen alleine nachzukommen. Angesichts der entscheidenden Frage der Wasserkrise in Konfliktgebieten richtet das IKRK drei Forderungen an die Staaten und die internationale Gemeinschaft:

  • Einhaltung des humanitären Völkerrechts. Bewaffnete Konflikte schaden oft der natürlichen Umwelt, darunter den Wasserressourcen, die für die Bevölkerung lebensnotwendig sind. Das HVR schützt die natürliche Umwelt als ziviles Objekt, darunter Wasserquellen sowie für die Zivilbevölkerung lebensnotwendige Objekte wie Anlagen zur Wasseraufbereitung und -verteilung. Die Einhaltung des HVR kann so die Auswirkungen von bewaffneten Konflikten auf die natürliche Umwelt begrenzen und die Risiken verringern, denen die betroffenen Menschen ausgesetzt sind, insbesondere hinsichtlich des Zugangs zu Wasser.
  • Förderung und Unterstützung effizienter Partnerschaften, um sicherzustellen, dass die Wasserversorgung und Abwasserentsorgung Konflikten und anderen Risiken, darunter dem Klimawandel, standhalten. Staaten, lokale Behörden, internationale Finanzinstitutionen, der Privatsektor sowie die humanitäre und Entwicklungsgemeinschaft müssen zusammenarbeiten, um grundlegende Dienstleistungen und ihre Erbringer in Krisenzeiten zu stärken.
  • Stärkung und Finanzierung von Klimamassnahmen in gefährdeten und konfliktbetroffenen Staaten. Trotz der überproportionalen Auswirkungen für die Betroffenen und deren geringerer Widerstandsfähigkeit wurden in von Konflikten betroffenen Staaten nur wenige Massnahmen gegen den Klimawandel ergriffen, da Einsätze in gefährdeten Gegenden schwierig sind. Staaten und internationale Akteure müssen gefährdete Staaten vermehrt bei der Anpassung und Antizipation unterstützen, um die Widerstandsfähigkeit der Bevölkerung angesichts des Klimawandels zu verbessern. Klimafonds und bilaterale Geldgeber müssen gewisse Risiken in Kauf nehmen, um die Finanzierungslücke zwischen von Konflikten betroffenen und stabilen Ländern zu schliessen und sicherzustellen, dass ihre Finanzierung den schwächsten und am stärksten Isolierten Bevölkerungsgruppen in konfliktbetroffenen Staaten zugutekommt.

 

Weitere Informationen:

Fiona Barnaby, IKRK Dakar, tel: +221 77 529 71 45
fibarnaby@icrc.org
Halimatou Amadou, IKRK Dakar, tel : +211 78 186 46 87
hamadou@icrc.org