Für die Studie wurden 1 400 Syrerinnen und Syrer zwischen 18 und 25 Jahren in Syrien, im Libanon und in Deutschland befragt. In allen drei Ländern sprachen die jungen Menschen von zerrissenen Familien und Freundschaften, enormen wirtschaftlichen Problemen sowie Sorgen, Frustration, verpassten Meilensteinen und einer tiefgreifenden psychologischen Belastung nach Jahren unbarmherziger Gewalt und Zerstörung.
„Es ist ein Jahrzehnt grausamer Verluste für alle in Syrien. Vor allem für die jungen Menschen waren die letzten zehn Jahre geprägt vom Verlust von Angehörigen, von verpassten Gelegenheiten und dem Verlust der Kontrolle über die eigene Zukunft. Diese Studie bietet einen düsteren Einblick in eine Generation, die ihre Jugend und ihr junges Erwachsensein an den Konflikt verloren hat", erklärte Robert Mardini, IKRK-Generalsekretär in Genf.
Die Studie beleuchtet die Folgen des Konflikts in einem Land, in dem über die Hälfte der Bevölkerung unter 25 Jahre alt ist, und gibt spiegelt eindrucksvoll wider, was Millionen Menschen in den letzten zehn Jahren erdulden mussten.
- In Syrien gab fast jeder zweite Befragte (47 %) an, während des Kriegs einen engen Angehörigen oder Freund verloren zu haben. Jeder Sechste berichtete, dass mindestens ein Elternteil getötet oder ernsthaft verwundet wurde (16 %). 12 % der Befragten wurden während des Konflikts selbst verwundet.
- 54 % haben den Kontakt zu einem engen Angehörigen verloren. Im Libanon steigt dieser Anteil auf fast sieben von zehn Befragten.
- 62 % der Befragten berichteten, dass sie ihr Zuhause verlassen mussten und entweder innerhalb Syriens oder im Ausland Zuflucht gefunden haben.
- Fast die Hälfte der Befragten (49 %) hat ihr Einkommen infolge des Konflikts verloren und fast acht von zehn Befragten (77 %) bekunden Mühe, Nahrungsmittel und andere grundlegende Artikel zu besorgen bzw. sich diese leisten zu können. In Syrien liegt dieser Anteil bei 85 %.
- 57 % der Befragten berichteten von verpassten Jahren der Ausbildung, wenn sie überhaupt zur Schule gehen konnten.
- Ein Fünftel gab an, Heiratspläne aufgrund des Konflikts verschoben zu haben.
Wirtschaftliche Möglichkeiten und Jobs stehen ganz oben auf der Liste der Bedürfnisse der Befragten in Syrien, gefolgt von Gesundheitsversorgung, Ausbildung und psychologischer Unterstützung. Frauen sind wirtschaftlich besonders betroffen: ca. 30 % der Befragten in Syrien berichten, dass sie überhaupt kein Einkommen haben, um ihre Familie zu unterstützen. Für die Befragten im Libanon gehört humanitäre Hilfe zu den vordringlichsten Bedürfnissen.
Die Folgen für die mentale Gesundheit sind ebenfalls offensichtlich. Aufgrund des Konflikts haben die Befragten in Syrien in den letzten zwölf Monaten Schlafstörungen (54 %), Angst (73 %), Depressionen (58 %), Einsamkeit (46 %), Frustration (62 %) und Kummer (69 %) erlebt. In allen drei Ländern gaben die Befragten an, dass Zugang zu psychologischer Unterstützung eines der dringendsten Bedürfnisse ist.
„Diese jungen Menschen stehen nun am Beginn des zweiten Jahrzehnts dieser qualvollen Krise. Das Ergreifende an ihrer Situation ist, dass sie nicht nur so viel ihrer Kindheit und Jugend an die Gewalt verloren haben, sondern auch die Generation sind, die den Grossteil der Verantwortung für den Wiederaufbau tragen wird. Das Leben ihrer Kinder wird ebenfalls von diesem Konflikt geprägt sein", so Fabrizio Carboni, IKRK-Direktor für den Nahen und Mittleren Osten in Genf.
Der Konflikt in Syrien hat für die Zivilbevölkerung ein unglaublich brutales Ausmass angenommen – von weiträumig zerstörten Städten und Ortschaften, massiven internen Vertreibungen bis hin zu einer Flüchtlingskrise, welche die ganze Welt erschütterte. Im vergangenen Jahr wurden Millionen Menschen aufgrund der schlimmsten Wirtschaftskrise seit Ausbruch des Konflikts weiter in die Armut getrieben. Hinzu kommen die Auswirkungen von Sanktionen und der Covid-19-Pandemie. Rund 13,4 Mio. Menschen (bei einer Bevölkerung von 18 Mio.) sind auf humanitäre Hilfe angewiesen.
Trotz allem gaben die meisten Befragten an, dass sie optimistisch in die Zukunft blicken. Ihre Hoffnungen und Wünsche für die nächsten zehn Jahre sind nur zu verständlich: Sicherheit, die Möglichkeit, eine Familie zu gründen und einen gut bezahlten Job zu haben, bezahlbare und zugängliche Gesundheitsversorgung und Dienstleistungen sowie das Ende der Unruhen und des Konflikts.