Libyen: Gefangen zwischen Geschossen, Bomben und nun auch COVID-19

12. April 2020
Libyen: Gefangen zwischen Geschossen, Bomben und nun auch COVID-19
Der anhaltende Konflikt in Libyen hat Tausende Menschen dazu gezwungen, ihre Häuser zu verlassen – das IKRK verteilt Lebensmittel und andere wichtige Haushaltsgegenstände an die Verletzlichsten unter ihnen. Fares ELABEID / IKRK

Tunis (IKRK) – Hunderttausende Libyerinnen und Libyer sind gefangen in einem immer heftiger werdenden Konflikt, während eine Ausbreitung von COVID-19 das ohnehin schwache Gesundheitssystem des Landes weiter zu destabilisieren droht. Das Internationale Komitee vom Roten Kreuz (IKRK) befürchtet, das Virus könnte das Leid der vom Konflikt betroffenen Familien, die bereits Mühe haben, ihre Grundbedürfnisse – Unterkunft, Essen, Wasser und medizinische Versorgung – zu decken, noch grösser machen.

„Das libysche Gesundheitssystem hatte schon vor COVID-19 zu kämpfen", sagte Willem de Jonge, operativer Leiter des IKRK für Libyen. „Heute werden medizinische Fachkräfte, die im Bereich der Infektionsprävention ausgebildet werden sollten, wieder an die Front abberufen, um dort Verwundete zu pflegen. Kliniken und Spitäler sind überlastet mit der Versorgung von Kriegsverletzten und chronisch Kranken, weshalb ihre Kapazitäten zur Aufnahme von COVID-19-Patienten begrenzt sind. Sie benötigen zusätzliche Mittel und Ressourcen, um diese Herausforderung zu meistern."

Trotz der internationalen Aufrufe für eine Waffenruhe haben sich die Gefechte in Tripolis ausgeweitet; sie zwingen die Menschen, ihre Häuser zu verlassen und verursachen Schäden an zivilen Einrichtungen. In einigen Gegenden von Tripolis, wie in Abu Salim, haben sich die Patientenzahlen in den vergangenen Monaten vervierfacht, hauptsächlich aufgrund des Zustroms vertriebener Familien, von denen viele in Kollektivzentren leben.

„Vertriebene Libyerinnen und Libyer, darunter einige unserer Kolleginnen und Kollegen, haben uns erzählt, dass sie keine andere Wahl haben als in ihre Häuser in der Nähe der Frontlinie zurückzukehren aus Angst, ihre Eltern oder ältere Familienmitglieder mit dem Virus anzustecken", berichtete Maria Carolina, stellvertretende Leiterin der IKRK-Subdelegation für Tripolis. „Dies zeigt, vor welch unvorstellbar schwierigen Entscheidungen einige Menschen stehen – sie müssen entscheiden, ob Geschützfeuer und Luftangriffe oder COVID-19 eine grössere Gefahr für ihr Leben darstellen."

Zudem müssen besondere Schutzmassnahmen ergriffen werden um sicherzustellen, dass COVID-19 nicht in Gefängnisse eindringt, wo Abstandsregeln unmöglich einzuhalten sind. Auch für Migrantinnen und Migranten in Libyen stellt das Virus eine grosse Gefahr dar, da viele von ihnen kaum Zugang zu Informationen, Gesundheitsversorgung oder Einkommen haben.
Gleichzeitig schaffen Einschränkungen wie Ausgangssperren und Grenzschliessungen, die zweifellos wichtig sind, um die Krankheit einzudämmen, jedoch neue Herausforderungen für die Bereitstellung humanitärer Hilfe und die Aufrechterhaltung der Lieferketten für Lebensmittel, medizinische Güter und die Grundversorgung. „Die Behörden müssen sicherstellen, dass humanitäre Hilfe unter gleichzeitiger Einhaltung der Schutzmassnahmen, wie räumliche Distanz, geleistet werden kann. Gelingt dies nicht, werden jene Menschen, die von der Hilfe abhängig sind, enorm leiden", so Jonge.

„Die Preise für Lebensmittel und andere lebensnotwendige Güter steigen bereits, was für die hilfsbedürftigsten libyschen Familien eine zusätzliche Belastung darstellt. COVID-19 kommt zu einem jahrelangen Konflikt hinzu, der den öffentlichen Dienst lahmgelegt und die Beschäftigungsmöglichkeiten für die Menschen zum Verschwinden gebracht hat."

So hilft das IKRK in Libyen im Zusammenhang mit dem Konflikt:

  • Das IKRK stellt Binnenvertriebenen, Bewohnerinnen und Rückkehrern weiterhin Lebensmittel und Haushaltsgegenstände bereit. Im März erreichte diese Hilfe über 8 200 Menschen.
  • Die für Wasser und sanitäre Anlagen zuständigen IKRK-Teams arbeiten mit den Behörden vor Ort zusammen, um den Zugang zu sauberem Wasser in zahlreichen vom Konflikt betroffenen Gebieten zu verbessern. Zudem soll die Situation dank Abwasseraufbereitungsanlagen verbessert werden.
  • Wir versorgen Spitäler und Gesundheitseinrichtungen im ganzen Land mit medizinischen Gütern, darunter Diabeteszentren, die Insulin und andere Medikamente brauchen. IKRK-Teams liefern den medizinischen Fachkräften an der Front benötigte Güter sowie Leichensäcke.

So hilft das IKRK in Libyen im Zusammenhang mit COVID-19:

  • Das IKRK versorgt Gesundheitseinrichtungen mit Geld, damit sie Ausstattung und medizinische Verbrauchsartikel wie Masken, Seife und Desinfektionsmittel kaufen können. Drei Spitäler werden zudem Generatoren erhalten, damit sie auch bei Stromausfall weiterarbeiten können.
  • Wir haben 3 200 Inhaftierten in zwei verschiedenen Gefängnissen Hygieneartikel geliefert und erarbeiten gemeinsam mit den Behörden Massnahmen zum Schutz vor COVID-19 und für den Umgang mit Verdachtsfällen in Gefängnissen.
  • Die Teams beliefern vertriebene Familien in 17 Kollektivzentren mit Hygieneartikeln und Chlor. Zudem wird das Personal in den Zentren darin ausgebildet, wie Desinfektionen vorzunehmen sind, um die Ausbreitung des Virus in den Gemeinschaftsräumen zu verhindern.

 

Weitere Auskunft erteilen:

Qusai ALAZRONI, Sprecher für Libyen, +216 55 166 657, qalazroni@icrc.org
Sara Alzawqari, Sprecherin für den Mittleren Osten, +961 3138 353, salzawqari@icrc.org
Halimatou Amadou, Sprecherin für Westafrika, +221 78 186 4687, hamadou@icrc.org
Crystal Wells, Sprecherin für Ostafrika, +254 716 897 265, cwells@icrc.org