Erklärung

IKRK-Präsidentin: „Das humanitäre Völkerrecht ist nur so stark, wie die Führungsverantwortlichen gewillt sind, es auch einzuhalten“

The ICRC president in the 11th HRH Princess Maha Chakri Sirindhorn Lecture on IHL.

Rede von Mirjana Spoljaric, Präsidentin des Internationalen Komitees vom Roten Kreuz, am 18. August 2025 in Bangkok, Thailand, zur 11. Ausgabe der Fachvortragsreihe Ihrer Königlichen Hoheit Prinzessin Maha Chakri Sirindhorn zum humanitären Völkerrecht.

Ihre Königliche Hoheit Prinzessin Maha Chakri Sirindhorn,
Exzellenzen,
Meine Damen und Herren

Es ist mir eine grosse Ehre, heute hier sein zu dürfen. Zunächst möchte ich mich bei Ihrer Königlichen Hoheit Prinzessin Sirindhorn dafür bedanken, dass Sie mich so freundlich eingeladen haben, anlässlich dieser renommierten Veranstaltung zu sprechen.

In Krisenzeiten ist die Bereitschaft des Thailändischen Roten Kreuzes, humanitäre Hilfe zu leisten, zutiefst bewundernswert, und ich möchte mich für Ihre Bemühungen bedanken. Ich bin auch dankbar für die jahrelange Zusammenarbeit und Partnerschaft bei der Hilfeleistung in Notsituationen und für einen besseren Schutz der Zivilbevölkerung in bewaffneten Konflikten.

Meine Anerkennung gilt Ihrer Königlichen Hoheit sowie dem Ministerium für Auswärtige Angelegenheiten und dem Thailändischen Roten Kreuz dafür, dass Sie eine der ältesten Plattformen eingerichtet haben, um die Menschen über das humanitäre Völkerrecht zu informieren, und dass sie diese auch weiterhin pflegen.

Seit mehr als 20 Jahren zeugt diese herausragende Fachvortragsreihe von einem unermüdlichen Engagement für die Förderung des HVR. Sie nährt den Dialog zwischen internationalen Sachverständigen und der thailändischen Gesellschaft und vertritt die humanitären Werte, die in den Genfer Abkommen verankert sind.

Das humanitäre Völkerrecht gewinnt an Kraft, je mehr die Öffentlichkeit um seine Bedeutung weiss und je mehr politisches Gewicht die Führung eines Landes ihm beimisst. 

Vortragsreihen wie diese spielen eine wesentliche Rolle, wenn es darum geht, die Schutzfunktion des HVR in unserem kollektiven Bewusstsein zu erhalten. In einer Zeit, in der sich Kriege immer weiter ausdehnen und das Völkerrecht sowie die multilateralen Verträge arg strapaziert sind, ist es entscheidend, sich auf die Genfer Abkommen zu fokussieren.  

Wir können die Realität nicht länger ignorieren: Wer leben in einem Jahrzehnt, das von Krieg bestimmt ist.. 

Das IKRK zählt derzeit rund 130 bewaffnete Konflikte. Das ist mehr als letztes Jahr, und viel mehr als in den vorangegangenen Jahrzehnten.

Zwar bleibt die Zahl der Länder, in denen bewaffnete Konflikte wüten, relativ stabil, doch die Zahl der gleichzeitig stattfindenden oder neu eskalierenden Konflikte innerhalb dieser Länder nimmt zu. Viele sind zudem langwierig und dauern oft über Generationen hinweg an.

Weitere Merkmale der modernen Kriege sind eine Kriegsführung mittels Koalitionen, kleinteilige bewaffnete Gruppen und Millionen Zivilpersonen, die von nichtstaatlichen bewaffneten Akteuren kontrolliert werden.

Vor allem aber erleben wir im aktuellen Jahrzehnt eine Zunahme der Kriege zwischen Staaten, politische Verschiebungen von tektonischem Ausmass, Bündnisse mit verschwommenen Grenzen und schnelle technologische Fortschritte. All dies zusammen erhöht die Gefahr von Konflikten mit höherer Intensität und somit verheerenden humanitären Folgen. 

Während sich die Kriege vervielfachen und die geopolitischen Gräben immer tiefer werden, ist die Einhaltung des HVR in eine Krise geraten, und mit ihr unsere gemeinsame Menschlichkeit. Bewaffnete Konflikte sind heute die Hauptursache für humanitäre Notsituationen. Einen Grossteil dieses Leids hätte man verhindern können, wenn das humanitäre Völkerrecht besser eingehalten worden wäre.

Das IKRK ist an den Fronten auf der ganzen Welt im Einsatz. Wir erleben Krieg aus nächster Nähe, und wir sehen jeden Tag mit eigenen Augen, welche Narben er bei den Menschen, in Familien und Gemeinschaften hinterlässt. 

In Myanmar ist die humanitäre Lage nach Jahrzehnten der Kämpfe, verstärkt durch ein verheerendes Erdbeben im März dieses Jahres, noch immer düster. Die Kampfhandlungen dauern an und haben an einigen Orten gar zugenommen. Gleichzeitig behindern Bewegungseinschränkungen für Menschen und Güter für viele Gemeinschaften, etwa in Rakhine, den Zugang zu grundlegenden Diensten. 

In Gaza gibt es keinen sicheren Ort mehr. Was wir dort sehen, übersteigt jeden tragbaren rechtlichen oder moralischen Massstab. Zivilpersonen werden in ihrem Zuhause, in Spitalbetten und bei der Suche nach Essen und Wasser getötet und verwundet. Kinder sterben, weil sie nicht genug zu essen haben. Das gesamte Gebiet wurde dem Erdboden gleichgemacht. Unterschiedslose Kriegsführung und extreme Einschränkungen der humanitären Hilfe haben zu Bedingungen geführt, die das Leben verunmöglichen und jeder Menschenwürde berauben. Gleichzeitig verbleiben Geiseln in Gefangenschaft, trotz des eindeutigen Verbots der Geiselnahme im humanitären Völkerrecht..

Grossflächige Drohnen- und Raketenangriffe im internationalen bewaffneten Konflikt zwischen Russland und der Ukraine töten und verletzen Zivilpersonen weit hinter den Fronten. Grundlegende Infrastruktur wird zerstört. Mehr als 146 000 Vermisste – Armeeangehörige und Zivilpersonen – wurden dem IKRK bis Ende Juli gemeldet. Diese enorm hohe Zahl zeugt vom weitreichenden psychischen und emotionalen Preis dieses Krieges. 

Im Sudan ist die Zivilbevölkerung mit einem nicht enden wollenden Albtraum aus Tod, Zerstörung und Vertreibung konfrontiert. Sexuelle Gewalt ist weit verbreitet und sorgt für Traumata, die über Generationen hinweg anhalten werden. Direkte Angriffe auf kritische Infrastruktur wie Spitäler, Wasser- und Elektrizitätswerke verschärfen die verheerenden Auswirkungen für die Zivilbevölkerung. Die Vertreibungen, sowohl im Innern des Landes als auch über die Grenzen hinaus, nehmen stark zu, und es besteht die zunehmende Gefahr einer regionalen Destabilisierung. 

Nach nahezu vier Jahrzehnten des Krieges in Afghanistan lebt die Zivilbevölkerung noch immer unter der Bedrohung durch Landminen, nicht explodierte Kampfmittel und liegen gelassene selbstgebastelte Bomben. Sie stellen eine tödliche Gefahr für die Menschen dar, insbesondere, wenn jetzt Hunderttausende nach Hause zurückkehren, nachdem sie vor der Gewalt geflohen waren. Kinder stolpern unwissend über diese Bedrohungen oder heben sie vom Boden auf. Letztes Jahr verzeichnete das IKRK mehr als 400 verwundete oder getötete Kinder. Ausserdem halfen wir fast 7000 Überlebenden von Landminen – eine Arbeit, die zeigt, wie verheerend und lebensverändernd die Folgen dieser Waffen sind. 

Die Situation in Syrien ist ein Beispiel für eine der herzzerreissendsten und langwierigsten Folgen eines anhaltenden Konflikts: das ungeklärte Schicksal der Vermissten. Das IKRK hat über 36 000 als vermisst gemeldete Personen registriert. Sehr wahrscheinlich ist das aber nur ein Bruchteil der wahren Zahl. Hätten wir während des Konflikts durchgehend Zugang zu allen Hafteinrichtungen gehabt, hätten viele dieser Vermisstenfälle wohl aufgeklärt oder gar verhindert werden können. Auch heute noch stehen die Wasser- und die Stromversorgung kurz vor dem Zusammenbruch. Gleichzeitig zeigt die jüngste Welle der Gewalt entlang der Küste und im Süden des Landes, wie fragil der Weg Syriens zum Frieden ist – und wie schnell es zu Zusammenstössen kommen kann.. 

Wir dürfen das Ausmass des menschlichen Leidens – in Gaza, in Myanmar, in der Ukraine, im Sudan, in Afghanistan, Syrien und in Dutzenden weiteren Ländern weltweit – niemals als unausweichlich hinnehmen. Es handelt sich nicht um bedauernswerte Nebeneffekte des Krieges, sondern um die Folgen eines weitreichenden Scheiterns, das humanitäre Völkerrecht einzuhalten.

Wenn Kriege mit einer Mentalität des „totalen Sieges“ oder des „weil wir es können“ geführt werden, macht sich eine gefährliche Nachlässigkeit breit – eine, bei der das Recht gebeugt wird, um das Töten zu rechtfertigen, anstatt es zu verhindern. Die Genfer Abkommen wurden bewusst mit dem Ziel geschaffen, sinnloses Leiden und Tod zu verhindern. 

Wenn Kampfhandlungen unterschiedslos geführt und der Gewalt keine Grenzen gesetzt werden, hat dies katastrophale Folgen. Tod und Zerstörung werden zur Norm, nicht zur Ausnahme.

In einer eng verflochtenen Welt beschränkt sich nicht eingeschränkte Gewalt selten auf einen einzigen Kriegsschauplatz. Sie hallt nach. Wenn die Welt zügellose Aggression in einem Konflikt toleriert, sendet sie anderen – Streitkräften, nichtstaatlichen bewaffneten Gruppen und ihren Verbündeten – das Signal, dass ein solches Verhalten auch anderswo hinnehmbar ist. 

Die Konflikte eskalieren, und mit ihnen auch die Nutzung von Informationen als Waffe. Kriege werden heutzutage nicht nur vor Ort geführt, sondern auch in der digitalen Welt, wo schädliche Narrative und aufwieglerische Rhetorik eingesetzt werden, um Spannungen anzuheizen und Gewalt zu rechtfertigen.. 

Entsetzliche Ereignisse in der gesamten Geschichte haben eines gemeinsam: die Entmenschlichung. Indem man anderen ihre Menschlichkeit entzieht, schafft man einen Nährboden, auf dem Folter, Missbrauch und Tötungen rational erklärt werden.

So etwas wie ein menschliches Tier existiert nicht. Kein Volk und kein Gebiet sollte je vom Angesicht dieser Erde ausgelöscht werden.

In einer Welt, die zunehmend von Algorithmen geprägt ist, können sich schädliche Narrative schneller verbreiten als je zuvor – mit gefährlichen Folgen für die reale Welt.

Wir müssen mitansehen, wie völkermörderische Diskurse am Ende zu grauenvollen Ereignissen in der echten Welt führen. 

Der beissende Hass, der solchen Formulierungen innewohnt, fegt jede Empathie hinweg und schafft einen Nährboden für Gräueltaten. Er lässt Brutalität akzeptabel, ja schlimmer noch, scheinbar unausweichlich werden.

Verehrte Gäste,

Wir leben in einer Zeit, in der sich die Welt nicht nur im Krieg befindet – sie bereitet sich auf weitere Kriege vor. Die weltweiten Militärausgaben sind so hoch wie nie. In den verschiedenen Weltregionen investieren die Länder in Waffen, modernisieren ihre Streitkräfte und rüsten auf, in dem Gefühl, es gäbe keinen anderen Weg.

Als Präsidentin einer Organisation, die angesichts der entsetzlichen Folgen bewaffneter Konflikte Hilfe leistet, besteht meine Hauptverantwortung darin, die Staaten zu ermutigen, zu deeskalieren und die Welt nicht in einen grenzenlosen Krieg zu führen.

Ausserdem ist es meine Pflicht, die Staaten daran zu erinnern, dass verantwortungsvolle Abwehrbereitschaft im Zusammenhang mit Konflikten nicht nur an der Feuerkraft gemessen wird. Sie erfordert auch nachhaltige Investitionen in das humanitäre Völkerrecht in Friedenszeiten, um dessen Einhaltung in Kriegszeiten sicherzustellen.

Die jüngste Eskalation zwischen Thailand und Kambodscha zeigt, wie wichtig diese Art von Bereitschaft ist und wie schnell Feindseligkeiten humanitäre Folgen für die Zivilbevölkerung nach sich ziehen können.

Dazu gehört die Schulung der Streitkräfteangehörigen in den wichtigsten Grundsätzen des HVR, etwa im Hinblick auf den Schutz der Zivilbevölkerung bei der Durchführung von Kampfhandlungen oder den Umgang mit Gefangenen, um nur zwei Punkte zu nennen. Zudem sind eine detaillierte operative Planung und Einsatzregeln für spezifische Pflichten, die in den Genfer Abkommen festgelegt sind, gefordert, insbesondere während internationalen Konflikten zwischen Staaten.

Die Pflichten, die das HVR während Kriegen auferlegt, sind streng geregelt. Die Staaten müssen diese Anforderungen nicht nur verstehen, sondern auch die erforderlichen Systeme und Infrastruktur bereitstellen, damit sie sie im Falle eines Krieges rasch umsetzen können.

Ein Beispiel: Während internationalen bewaffneten Konflikten geniessen Kriegsgefangene und zivile Internierte gemäss dem Dritten und Vierten Genfer Abkommen spezifischen Schutz. Die Staaten müssen im Voraus planen, wie sie Internierungslager – und nicht Gefängnisse oder Hafteinrichtungen – einrichten würden, welche die Mindestanforderungen an Unterkunft, Sanitärversorgung, Nahrung, Wasser und medizinische Versorgung erfüllen.

Ein Aspekt davon ist auch, dass Frauen und Männer in getrennten Anlagen interniert werden können, ebenso wie Minderjährige und Erwachsene, ausser, wenn sie zur selben Familie gehören. Gemäss dem HVR muss das IKRK alle Personen, die im Zusammenhang mit einem internationalen bewaffneten Konflikt in Haft oder interniert sind, besuchen können, um ihre Behandlung und ihre Haftbedingungen zu überwachen, und um den Kontakt zu ihren Angehörigen sicherzustellen.

Geschützte Personen, die in Feindeshand fallen, müssen den Kontakt zu ihren Familien aufrechterhalten können. Sie dürfen nur so lange festgehalten werden, wie die aktiven Feindseligkeiten andauern. Danach müssen sie nach Hause gebracht werden. Hier kommt eine kritische Anforderung des HVR ins Spiel: die Einrichtung eines nationalen Auskunftsbüros. 

Während internationalen bewaffneten Konflikten fordern die Genfer Abkommen ausdrücklich von den Staaten, ein nationales Auskunftsbüro einzurichten, um Informationen über geschützte Personen zu sammeln und weiterzuleiten.

Diese Auskunftsstellen müssen die Informationen über internierte, inhaftierte, kranke, verstorbene oder vermisste Personen an den Zentralen Suchdienst des IKRK übermitteln, damit wir sie dann an „die andere Seite“ und an die Angehörigen weiterleiten können. Der Gewahrsamsstaat muss Gefangenschaftskarten für Kriegsgefangene und zivile Internierte ausstellen und diese an den Zentralen Suchdienst und an die Familien übermitteln.

Solche Systeme kann man nicht improvisieren, wenn der Krieg bereits begonnen hat. Von den Gefangenschaftskarten bis zur Sammlung von Informationen über Verwundete, Kranke und Tote – die nationalen Auskunftsbüros sind komplexe Informationsverwaltungsmechanismen, für die bereits in Friedenszeiten geplant werden muss. Eine Verzögerung bei der Einrichtung dieser Stellen gefährdet nicht nur die Einhaltung des HVR, sondern kann auch zu realen menschlichen Konsequenzen führen, wenn Menschen verschwinden und niemand weiss, was mit ihnen geschehen ist.

Diese Stellen sind ausserdem entscheidend, um Hemmnisse für Frieden und Versöhnung aus dem Weg zu räumen. Die nationalen Auskunftsbüros sind ein wesentliches Glied bei der Suche nach Vermissten und der Bereitstellung von Informationen, um Heimschaffungen von Kriegsgefangenen und gefallenen Streitkräfteangehörigen zu organisieren.

Wer auf internationale und nicht-internationale bewaffnete Konflikte vorbereitet sein will, muss angesichts der Risiken weitreichender Kampfhandlungen mit hoher Intensität auch Massnahmen zur Abmilderung ziviler Schäden ergreifen. So sollten beispielsweise militärische Anlagen möglichst weit weg von ziviler Infrastruktur angesiedelt sein, um den Grundsatz der Unterscheidung zu wahren und die Gefahr unbeabsichtigter ziviler Schäden zu minimieren.

Können Kriege bis in das eigene Staatsgebiet vordringen, muss auch das jeweilige Gesundheitssystem vorbereitet sein, damit es hohe Zahlen von Kriegsverletzten aufnehmen und Kriegswunden behandeln kann. Gleichzeitig muss die alltägliche medizinische Versorgung aufrechterhalten werden können.

Auch die Kapazitäten von Leichenhallen und forensischen Diensten müssen aufgestockt werden, um sicherzustellen, dass Verstorbene identifiziert und mit Würde behandelt werden, damit keine Menschen nach ihrem Tod vermisst bleiben. 

Wir wissen, dass sich die Streitkräfte auf militärische Konfrontationen vorbereiten. Aber als Teil davon müssen sich die Staaten auch auf die humanitären Folgen vorbereiten. Das beginnt mit mehr Investitionen ins HVR – nicht erst, nachdem die Kämpfe ausgebrochen sind, sondern jetzt.  

Das IKRK ist bereit, die Staaten in ihrem Bestreben, das HVR konkret umzusetzen, durch bilateralen Dialog zu unterstützen. Wir verfügen über Kolleginnen und Kollegen, darunter Rechtsexpertinnen und -experten mit weitreichender konkreter Erfahrung aus Konfliktgebieten, die Beratung zu praktischen Massnahmen anbieten können, um zivile Schäden abzumildern und den Staaten bei der Einhaltung ihrer rechtlichen Pflichten zu helfen.

Das humanitäre Völkerrecht ist kein abstraktes Konstrukt für Anwältinnen und Anwälte, über das sie in Vorträgen fachsimpeln. Das humanitäre Völkerrecht steht in direktem Zusammenhang mit Frieden und Sicherheit, sowohl auf nationaler als auch auf internationaler Ebene. 

Wer in die Verteidigung investiert, muss auch das humanitäre Völkerrecht einplanen.

Verehrte Gäste,

Wir erleben derzeit eine richtungweisende Veränderung in der Art und Weise, wie Kriege geführt werden. Die Staaten liefern sich ein Wettrüsten im 21. Jahrhundert, und es ist entscheidend, jetzt zu fragen: Wie gilt das HVR für die sich verändernden Technologien, und was müssen die Staaten berücksichtigen, wenn sie in neue Waffensysteme investieren?

Drohnen sind billig und skalierbar. Sie sind zu einer der bezeichnenden Waffen der heutigen Kriege geworden. Ihr verbreiteter Einsatz verändert die Fronten und revolutioniert die Kriegsschauplätze, von der Ukraine und Russland über Gaza und Sudan bis nach Myanmar und in den Jemen.

Drohnen haben in zahlreichen Konflikten bereits umfangreiche zivile Opfer gefordert und die Menschen in ständige Angst und Schrecken versetzt. Kampfdrohnen waren einst den grossen Armeen vorbehalten. Heute jedoch sind sie ein Massenprodukt geworden, zu haben für einen Bruchteil der herkömmlichen Luftwaffen, wodurch sie leichter zugänglich sind.

Das humanitäre Völkerrecht verbietet Drohnen nicht. Aber wie bei jeder Waffe ist ein HVR-konformer Einsatz gefordert. Analoge Systeme mit niedriger Auflösung und mangelnde Schulung der Bedienpersonen – insbesondere bei kostengünstigen FPV-Drohnen, die aus der Ich-Perspektive gesteuert werden – geben Anlass zu ernsthaften Bedenken über die Fähigkeit, zwischen militärischen und zivilen Zielen zu unterscheiden.

Distanz entbindet nicht von Verantwortung. Drohnenpilotinnen und -piloten und ihre Befehlshabenden sind weiterhin rechtlich verantwortlich für die Auswirkungen ihrer Handlungen, genau wie alle anderen Kombattantinnen und Kombattanten.

Ohne eine stärkere Regulierung und Rechenschaftspflicht wird das Drohnenaufrüsten eskalieren. Mehr Akteure werden mehr Drohnen einsetzen, mit weniger Schutzmechanismen, und die humanitären Folgen werden sich vervielfachen.

Die Drohnen neigen zu immer mehr Autonomie, woraus sich eine Schnittstelle mit einer anderen äusserst besorgniserregenden Entwicklung ergibt: autonome Waffensysteme.

Diese Waffen können ohne jegliches menschliches Eingreifen Ziele auswählen und Gewalt anwenden, wenn sie erst einmal aktiviert worden sind. Das wirft ernsthafte humanitäre, rechtliche, ethische und sicherheitsbezogene Bedenken auf.

Entscheidungen über Leben und Tod dürfen niemals Sensoren und Algorithmen überlassen werden. Die menschliche Kontrolle über die Gewaltanwendung ist entscheidend, um die Rechenschaftspflicht in der Kriegsführung aufrechtzuerhalten. Maschinen, die die Macht haben, ohne menschliche Beteiligung Leben auszulöschen, sollten im Völkerrecht verboten werden.

Autonome Waffensysteme, deren Funktionsweise dazu führt, dass ihre Wirkungen nicht vorhersehbar sind, sollten verboten werden. Der Vorschlag beispielsweise, autonome Waffen zuzulassen, die von Machine-Learning-Algorithmen kontrolliert werden – wobei die Software sich ohne menschliche Aufsicht selbst programmiert –, ist gefährlich und somit inakzeptabel. Ausserdem braucht es klare Einschränkungen für alle anderen Arten von autonomen Waffen, um die Einhaltung des Völkerrechts sicherzustellen.

Wir brauchen ein neues, rechtlich bindendes Instrument, um klare Verbote und Einschränkungen zu etablieren. Ohne ein solches laufen wir Gefahr, die zukünftigen Generationen zu einer Welt zu verurteilen, in der Maschinen entscheiden, wer lebt und wer stirbt, und in der die Rechenschaftspflicht auf gefährliche Art und Weise ausgehöhlt wird.

Wir leben ausserdem in einer Zeit, in der sich die Kriegsschauplätze nicht nur in der physischen, sondern auch in der digitalen Welt befinden. Cyberoperationen werden bereits heute durchgeführt, um die Strom- und Wasserversorgung, Spitäler und andere zivile Infrastruktur zu stören – häufig weit von der Front entfernt. Diese Angriffe hinterlassen zwar keine rauchenden Ruinen oder sichtbare Explosionswunden. Doch sie können den Zugang der Zivilbevölkerung zu grundlegenden Diensten, die diese zum Überleben benötigt, beeinträchtigen, oder die Hilfe für die Bedürftigen gefährden. Zudem können sie den Zugang zu Informationen blockieren, die für die Sicherheit der Menschen entscheidend sind.

Das humanitäre Völkerrecht gilt bei Cyberoperationen in gleicher Weise wie bei den herkömmlichen Mitteln und Methoden der Kriegsführung. Die Grundsätze der Unterscheidung, der Verhältnismässigkeit und der Vorsicht sind im Cyberraum genauso verbindlich wie an Land, auf See oder in der Luft.

Der Schutz der Zivilbevölkerung muss fest in die digitale Kriegsführung eingebunden werden. Das bedeutet, dass die Kriegsführenden eine menschliche Aufsicht gewährleisten, keine Cyberangriffe auf zivile Infrastruktur ausüben und vorhersehbare Schäden an Zivilpersonen und zivilen Systemen minimieren müssen.

Das humanitäre Völkerrecht gilt auch für jegliche militärische Aktivität im Weltraum im Zusammenhang mit bewaffneten Konflikten. Die zunehmende Rolle von Weltraumsystemen für militärische Operationen während bewaffneten Konflikten erhöht die Wahrscheinlichkeit, dass diese Systeme zu Angriffszielen werden. Dadurch entsteht eine Gefahr für grundlegende Dienste auf der Erde. Wenn die Kampfhandlungen über die Erde hinausgehen – durch den gezielten Angriff von Satelliten oder weltraumgestützten Ressourcen – müssen sich die Konfliktparteien trotzdem an das humanitäre Völkerrecht halten.

Die Ausserbetriebssetzung oder Zerstörung von Satelliten kann schwerwiegende humanitäre Folgen haben. Satelliten, die als Hilfsmittel für die Navigation, die Kommunikation und die Fernerkundung dienen, sind für das zivile Leben unabdingbar geworden.

Auch humanitäre Organisationen sind auf satellitengestützte Dienste angewiesen, um in einem bewaffneten Konflikt oder einer Katastrophensituation die notleidenden Menschen erreichen zu können. Ohne diese Systeme wird es noch schwieriger, lebensrettende Hilfe zu leisten und den Gemeinschaften beim Wiederaufbau zu helfen.

Ebenso wie die Staaten streng dafür sorgen müssen, das neue Waffentechnologien mit dem humanitären Völkerrecht vereinbar sind, dürfen sie ihre Verantwortung hinsichtlich konventioneller Waffen nicht vernachlässigen.

Die Umsetzung des HVR und der Schutz der Zivilpersonen beschränken sich nicht auf aktive Konfliktgebiete. Sie widerspiegeln sich auch in den Entscheidungen der Staaten, wenn sie festlegen, welche Arten von Waffen sie herstellen, anschaffen oder verbieten.

Das globale Engagement zum Verbot von Antipersonenminen beginnt derzeit zu bröckeln. Mehrere Länder, die sich früher für Abrüstung einsetzten, sind dabei, Schritte für einen Austritt aus dem Übereinkommen über das Verbot von Antipersonenminen einzuleiten. Hierbei

handelt es sich nicht nur um einen theoretischen rechtlichen Schritt. Ein solcher Rückzug droht, Menschenleben zu gefährden und uns angesichts hart erkämpfter Fortschritte um Jahrzehnte zurückzuwerfen.

Die meisten Mitgliedstaaten des Verbands Südostasiatischer Nationen, ASEAN, sind Vertragsstaaten der Ottawa-Konvention. Als Thailand dem Übereinkommen Ende der 1990er-Jahre beitrat, schuf die thailändische Regierung den nationalen Ausschuss zur Bekämpfung von Minen. Innerhalb eines Jahres vernichtete das Land rund 10 000 Antipersonenminen. Gleichzeitig wurden Minenräumungsteams entsandt, um kontaminierte Gebiete zu räumen. Dadurch konnte der menschliche Preis von Landminen deutlich reduziert werden, von 350 Todesfällen zwischen 1999 und 2001 auf nur gerade 24 im Jahr 2011.

Diesen Monat gedenken wir auch einer Katastrophe, die bis heute emotionales und körperliches Leid für die Überlebenden nach sich zieht: Vor 80 Jahren erfolgte der Abwurf der Atombomben auf Hiroshima und Nagasaki.

Es ist erschreckend zu sehen, dass die Atomwaffen in den heutigen Waffenarsenalen viel zerstörerischer sind als die Bomben, die vor acht Jahrzehnten in wenigen Sekunden Hiroshima und Nagasaki dem Erdboden gleichmachten. Die Bombe, die auf Hiroshima abgeworfen wurde, würde heutzutage als kleine Atomwaffe eingestuft.

Aber es gibt keine kleinen Atomwaffen. Jeder Einsatz von Atomwaffen wäre ein katastrophales Scheitern der Menschheit und würde ein Ausmass an Leid und Zerstörung verursachen, gegen das keine humanitäre Hilfe ankommen könnte. Es ist höchst zweifelhaft, ob Atomwaffen je im Einklang mit dem humanitären Völkerrecht eingesetzt werden könnten.

Dennoch sehen wir, dass die Atomwaffenarsenale weiter aufgestockt werden, und dass häufig und fast beiläufig mit dem Einsatz dieser Waffen gedroht wird. Die Zahl der Vertragsparteien des Vertrags über das Verbot von Atomwaffen nimmt jedoch weiter zu: Es sind bereits derer 73 und weitere 25 Staaten haben den Vertrag unterzeichnet. Darunter finden sich auch die meisten ASEAN-Staaten – inklusive Thailand.

Verehrte Gäste,

Ich frage Sie: Was geschieht mit Gesellschaften – mit der Welt –, wenn wir dem Glauben anheimfallen, dass Macht alleine Recht schafft? Wenn wir das humanitäre Völkerrecht missachten und einen Sieg um jeden Preis verfolgen?

Das HVR wurde nicht geschaffen, um Kriege zu verhindern, sondern um Grausamkeit im Krieg zu verhindern.

Diese Unterscheidung ist wichtig. Sie anerkennt die Realität bewaffneter Konflikte, besteht aber gleichzeitig darauf, dass Menschlichkeit selbst im Krieg erhalten bleiben muss – darin, wie wir die Verwundeten behandeln, wie wir die Zivilbevölkerung schützen und wie wir mit Gefangenen umgehen.

Spitäler als sichere Stätten für Verletzte zu verschonen ist keine Schwäche.

Zivilpersonen von den Kampfhandlungen abzuschirmen ist keine Schwäche.

Zuzulassen, dass lebensrettende Hilfe die Notleidenden erreicht, ist keine Schwäche.

Gefangene mit Würde zu behandeln ist keine Schwäche.

Es ist Stärke.

Es braucht Stärke, um inmitten des Chaos eines Krieges Zurückhaltung an den Tag zu legen. Um dem Drang nach Rache zu widerstehen und über der Vergeltung zu stehen. Um unsere gemeinsame Menschlichkeit zu bewahren, wenn ein Konflikt droht, sie auszulöschen. 

Die Einhaltung des HVR ist konkret gelebte Soft Power. 

Ihr Einfluss ist nicht zu unterschätzen.

Die Hochhaltung des HVR stärkt den internationalen Ruf eines Landes. Staaten, die sich für das humanitäre Völkerrecht und für humanitäre Grundsätze einsetzen, gewinnen oft an diplomatischem Einfluss aufgrund ihrer moralischen Führungsstärke.

Konfliktparteien, welche das humanitäre Völkerrecht missachten, setzen ihre Legitimität aufs Spiel. Der Schandfleck der Brutalität bleibt noch lange bestehen, auch wenn die Waffen längst schweigen. Dies macht die Erholung nach einem Konflikt, den wirtschaftlichen Wiederaufbau und die internationale Zusammenarbeit komplizierter, und es schafft einen Nährboden für zukünftige Gewalt und Sicherheitsbedrohungen.

Es ist möglich, die Zivilbevölkerung in Kriegen zu schützen.

Wenn die Kombattantinnen und Kombattanten das humanitäre Völkerrecht einhalten – wenn sie Zivilpersonen verschonen, kritische Infrastruktur schützen und sich um die Verletzten kümmern –, verringern sie die langfristigen Kosten eines Konflikts. Sie ermöglichen Erholung. Sie bewahren das für den Frieden erforderliche gesellschaftliche Gefüge.

Als Präsidentin des IKRK werde ich Zeugin der schlimmsten Seiten der Menschheit. Aber ich sehe auch, wie Mitgefühl selbst unter den schlimmsten Umständen entstehen kann.

  • In Gaza hat das IKRK seit Oktober 2023 die Freilassung von 148 Geiseln und mehr als 1700 Gefangenen organisiert und Angehörigen eine Wiedervereinigung ermöglicht, in Israel, in den besetzten palästinensischen Gebieten und darüber hinaus. Dazu gehörte auch die Befreiung von fünf thailändischen Geiseln im Januar. Diese Einsätze, die als Bestandteil der Einigungen zwischen der Hamas und Israel erfolgten, waren äusserst komplex und erforderten eine minutiöse Sicherheitsplanung, um sicher durchgeführt werden zu können.
  • In Myanmar besuchen IKRK-Delegierte Haftanstalten, um die Haftbedingungen und die Behandlung der Inhaftierten zu überwachen und ihnen zu helfen, mit ihren Angehörigen in Kontakt zu bleiben. Das IKRK hat dieses Jahr bereits Tausende Gefangene besucht.
  • Im Jemen hat das IKRK dazu beigetragen, dass mehr als 2000 im Zusammenhang mit dem Konflikt inhaftierte Personen freigelassen wurden und nach Hause zurückkehren konnten. Dies umfasste weitreichende logistische Vorbereitungen und Dutzende Flüge an unterschiedliche Orte im Jemen und in Saudi-Arabien.
  • Das IKRK unterstützte Russland und die Ukraine mehr als 50 Mal bei der Heimschaffung gefallener Soldatinnen und Soldaten, jüngst im Juni anlässlich einer komplizierten mehrtägigen Operation. Diese Arbeit ist entscheidend, um den Familien Antworten über das Schicksal ihrer Liebsten zu geben und ihnen zu ermöglichen, in Würde zu trauern.
  • In der Demokratischen Republik Kongo half das IKRK Anfang des Jahres beim Transport von mehr als 1300 entwaffneten Angehörigen der Regierungskräfte und ihren Familien von Goma nach Kinshasa. Der Einsatz erstreckte sich über zwei Wochen und umfasste eine Strecke von nahezu 2000 km über eine Front hinweg. Im Juli unterzeichneten die Regierung und die Congo River Alliance bzw. die Bewegung M23 eine gemeinsame Erklärung, in der sich alle Seiten dazu verpflichteten, einen vom IKRK unterstützten Mechanismus für die Freilassung von im Zusammenhang mit dem Konflikt inhaftierten Personen einzurichten.

Diese Beispiele zeigen, wie das HVR konkret umgesetzt werden kann, um Leiden lindern. Freilassung von Gefangenen, Evakuierungen von Zivilpersonen und humanitäre Korridore sind nicht nur Hilfsleistungen. Sie sind konkrete Ausdrücke der Umsetzung des HVR, und oft sind sie die ersten, zerbrechlichen Fäden eines Dialogs zwischen kriegsführenden Parteien. Sie sind ein Weg zum Frieden.

Das IKRK wurde seit 1934 in rund 150 Friedensinstrumenten, darunter Waffenruhevereinbarungen, Friedensabkommen und anderen Rahmenwerken, ausdrücklich genannt. Der Hauptgrund dafür ist die Rolle, die wir im Rahmen der in den Genfer Abkommen skizzierten humanitären Schritte spielen.

In jedem dieser Fälle agierte das IKRK als neutraler Vermittler – eine Rolle, die auf unserem rein humanitären Auftrag fusst und möglich ist, weil wir mit allen Parteien sprechen, unabhängig davon, auf welcher Seite der Front sie kämpfen.

Wie sich in den letzten Wochen mit der Waffenruhe, die zwischen Thailand und Kambodscha erzielt wurde, gezeigt hat, ist die Gruppe der ASEAN-Staaten eine entscheidende Plattform für Konfliktlösung und Deeskalation in Südostasien. Sie bietet ausserdem einen Raum für den Dialog, um sich auf humanitäre Schritte zu einigen und diese umzusetzen, beispielsweise die Heimschaffung sterblicher Überreste.

Wir verpflichten uns dazu, unseren Dialog und die Zusammenarbeit mit Thailand und allen ASEAN-Mitgliedern zu stärken, um die Einhaltung des humanitären Völkerrechts zu unterstützen.

Verehrte Gäste,

Das humanitäre Völkerrecht ist nur so stark, wie die Führungsverantwortlichen gewillt sind, es auch einzuhalten.

Wenn die Genfer Abkommen Leben retten sollen – was ja ihr Zweck ist –, dann sind erneut ausserordentliche Anstrengungen durch alle Staaten nötig, um ihr unerschütterliches Engagement zur Einhaltung des humanitären Völkerrechts zu bekräftigen.

Genau wie die Staaten 1949 nach den Schrecken des Zweiten Weltkriegs zusammenkamen, um die Genfer Abkommen zu verabschieden, muss die Völkergemeinschaft heute erneut zusammenkommen, um die Einhaltung dieses rechtlichen Rahmens neu zu beleben.

Das ist keine symbolische Geste. Es geht darum, die zukünftigen Generationen vor zunehmend brutalen Mustern der Kriegsführung zu schützen.

Das HVR muss zur politischen Priorität werden.

Letzten September lancierten Brasilien, China, Frankreich, Jordanien, Kasachstan und Südafrika gemeinsam mit dem IKRK eine Initiative, um dem politischen Engagement für das humanitäre Völkerrecht neuen Schwung zu verleihen. Seither haben sich mehr als 70 Staaten diesem Bestreben angeschlossen.

Vierundzwanzig davon haben sich zur Leitung von sieben thematischen Arbeitsgruppen gemeinsam mit den juristischen Teams des IKRK bereit erklärt. Gemeinsam entwickeln sie praktische Empfehlungen, um die Einhaltung des HVR zu stärken.

Dazu gehören:

  • die Ermittlung guter Praxis zur Verhinderung von Verstössen;
  • die Unterstützung nationaler Ausschüsse zum humanitären Völkerrecht;
  • Untersuchungen dazu, wie das HVR zu Friedensbemühungen beitragen kann;
  • die Stärkung des Schutzes ziviler Infrastruktur, insbesondere von Spitälern;
  • die Bewältigung der Herausforderungen im Zusammenhang mit Informations- und Kommunikationstechnologien;
  • und die Prüfung der humanitären Folgen moderner Seekriegsführung..

Seit Anfang des Jahres haben mehr als 130 Staaten an Konsultationen zu diesen Themen teilgenommen. Die 24 mitvorsitzenden Länder arbeiten nun eng mit dem IKRK, um die gesammelten Informationen zu konsolidieren und erste Ergebnisse zu präsentieren, die in den nächsten Monaten veröffentlicht werden sollen.

Ich freue mich, Ihnen zu berichten, dass diese Gespräche eine breite Unterstützung für eine schützende und nicht eine nachlässige Auslegung des humanitären Völkerrechts gezeigt haben.

Die laufenden Bestrebungen werden bis ins nächste Jahr fortgesetzt und sollen ihren Abschluss 2026 in einer hochrangigen Tagung zur Aufrechterhaltung der Menschlichkeit im Krieg finden.

Es ist mir eine Ehre, Thailand heute als neues Mitglied der globalen Initiative zum humanitären Völkerrecht begrüssen zu dürfen. Ihre Führungsstärke wird entscheidend sein, um die ASEAN-Staaten und weitere Länder an Bord dieses wichtigen Bestrebens zu holen, und wir freuen uns auf die Zusammenarbeit mit Ihnen auf dem Weg hin zur globalen Tagung.

Als Präsidentin des IKRK stehe ich oft vor der Frage, ob das HVR heute noch relevant ist, oder ob die neue Weltordnung ein neues Regelwerk erfordert.

Meine Antwort lautet: Das HVR ist kein Relikt der Vergangenheit. Es ist ein lebendiges Regelwerk, das darauf ausgerichtet ist, die Menschenwürde unter schwierigsten Umständen zu wahren. Es verankert den Grundsatz, dass jedes Menschenleben – unabhängig davon, auf welcher Seite der Front – den gleichen Schutz verdient.

Seine Prinzipien sind heutzutage genauso dringend und relevant wie eh und je, denn Kriege werden zunehmend in urbanen Zentren geführt, mit neuen Technologien und durch immer mehr verschiedene Akteure. Das Wesen der Kriege mag sich verändern, doch die Notwendigkeit, die grundlegende Menschlichkeit im Krieg zu wahren, bleibt dieselbe.

Das Leiden einer Mutter, die gezwungen ist, zuzusehen, wie ihr Kind verhungert, ist genau dasselbe wie vor 100 Jahren.

Alle staatlichen Verantwortlichen sind rechtlich dazu verpflichtet, keine Mühen zu scheuen – und zwar immer –, um zu verhindern, dass Kriege so weit eskalieren, bis es kein Zurück mehr gibt. Was im Zweiten Weltkrieg geschah, kann sich wiederholen, wenn wir nicht achtsam genug sind, um es zu verhindern.

Heute, in einem von Kriegen geprägten Jahrzehnt, müssen die Länder zusammenstehen, um der Vision von dauerhaftem Frieden und Stabilität gestützt auf international vereinbarte Rahmen und eine regelbasierte Weltordnung neuen Schwung zu verleihen. Und zwar bevor es zu spät ist.

Vielen Dank.